Am gestrigen Dienstag, den 8. November 2022, überschlugen sich die Ereignisse rund um die Krypto-Handelsplattform FTX, mit weitreichenden Folgen. Allem Anschein nach stand respektive steht FTX kurz vor einer Insolvenz. Fest steht, dass FTX sich dazu genötigt sah, den großen Konkurrenten Binance um Hilfe zu beten, um die Liquiditätsengpässe überwinden zu können. Binance griff FTX unter die Arme und ein Teil der Abmachung war wohl, dass sich FTX nun von Binance übernehmen lässt.
Die Vorgeschichte
Blocktrainer.de berichtete bereits am Montag über die Vorgeschichte. Das Spektakel begann mit einem Artikel von Coindesk über die Bilanz von dem eng mit FTX verflochtenen Hedgefonds Alameda Research. Aus dem Artikel ging hervor, dass ein Großteil der Vermögenswerte von Alameda Research aus dem illiquiden Token der Handelsplattform FTX mit dem Kürzel FTT bestand.
Aufgrund dieses Berichtes kamen Zweifel an den Geschäftspraktiken und der Solvenz der Handelsplattform FTX auf. Changpeng Zhao (CZ), der CEO von Binance, verkündigte infolgedessen auf Twitter, dass Binance die FTT, die sie im Gegenzug der Auflösung ihrer Beteiligung an FTX erhalten haben, künftig veräußern werden. Das brachte den Token und zeitgleich auch das Vertrauen in FTX umso mehr ins Wanken.
Bank Run auf FTX
Der Zweifel an der Solvenz von FTX resultierte letztlich in einem regelrechten Bank Run auf die Handelsplattform. Nutzer haben in Massen ihre Kryptowährungen bei der nach Volumen gemessen drittgrößten Krypto-Handelsplattform der Welt abgezogen. Laut Reuters teilte Sam Bankman-Fried (SBF), der CEO von FTX, seinen Mitarbeitern am Dienstagmorgen via Telegram mit, dass in den letzten 72 Stunden Kryptowährungen im Wert von ungefähr 6 Milliarden US-Dollar bei FTX abgezogen wurden.
Liz Hoffmann, Journalistin des Wall Street Journals, teilte auf Twitter im Verlaufe des Tages mit, dass sich FTX bereits am Morgen um neue Investorengelder bemühte. Die Bemühungen blieben ohne Erfolg und so spitzte sich die Lage im Tagesverlauf weiter zu.
Laut den Daten von Coinglass waren die Bitcoin-Bestände von FTX am Dienstag sogar zeitweise negativ. Da man aber nicht mehr Bitcoin auszahlen kann, als man selber besitzt, lag nahe, dass FTX sich anderweitig Bitcoin beschafft hat, um die Kunden auszubezahlen. Oder aber die Daten von Coinglass sind fehlerhaft.
Auszahlungsstopp bei FTX
Am Dienstagnachmittag wurden keine Kryptowährungen mehr von FTX an die Nutzer ausgezahlt. Dies machte der Nachrichtendienst The Block, der erstmals über den Auszahlungstopp berichtete, anhand von On-Chain-Daten fest.
In der bereits erwähnten Telegram-Mitteilung, die nachher an die Öffentlichkeit kam, sprach SBF davon, dass die Auszahlungen "effektiv pausiert" wurden. FTX konnte den Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Kunden aus eigener Kraft nicht mehr nachkommen.
Binance will FTX kaufen
Gegen 17 Uhr deutscher Zeit meldeten sich dann die Protagonisten des Debakels mit Neuigkeiten zu Wort. Aus dem Thread von CZ ging hervor, dass Binance von FTX um Hilfe gebeten wurde, um die vor dem Abgrund stehende Handelsplattform mit Liquidität zu versorgen. Binance kam der Bitte nach und im Gegenzug wird sich FTX nun von Binance aufkaufen lassen. Das US-Geschäft von FTX (FTX.us), sowie das von Binance (Binance.us), sind als separate Unternehmen dabei nicht betroffen.
Einzelheiten zu dem Deal, wie der mögliche Kaufpreis, liegen nicht vor. Öffentlich ist aber, dass Binance sich vorbehält, jederzeit von der Vereinbarung wieder zurückzutreten.
"Heute Nachmittag bat uns [Binance] FTX um Hilfe. Es gibt Liquiditätsengpässe. Um Nutzer zu schützen, haben wir eine unverbindliche Absichtserklärung unterschieben, mit der Absicht, FTX.com zu übernehmen und die Liquiditätskrise zu überwinden. Wir werden in den folgenden Tagen eine vollständige Due-Dilligance-Prüfung [sorgfältige Prüfung] vornehmen."
"Es ist viel, das getan werden muss und es wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Dies ist eine sehr dynamische Situation und wir bewerten die Situation in Echtzeit. Binance kann sich aus der Vereinbarung jederzeit zurückziehen. Wir erwarten, dass FTT [Token von FTX.com] in den kommenden Tagen, im Zuge der Entwicklung, sehr stark schwanken wird."
CZ, CEO von Binance
Auch SBF, der CEO von FTX meldete sich fast zeitgleich mit einem Thread zu Wort. Er stellte heraus, dass es wichtig ist, die Nutzer zu schützen und er bedankte sich herzlich bei CZ und Binance für die Hilfe.
3) "Aber das Wichtigste ist, dass die Nutzer geschützt sind."
4) "Ein großes Danke an dich CZ, Binance, und an alle unsere Unterstützer. Das [der Deal] ist eine benutzerzentrierte Entwicklung, von der die gesamte Industrie profitiert. CZ hat, und wird es weiterhin tun, unglaubliche Arbeit verrichtet, das globales Krypto-Ökosystem aufzubauen und eine freiere Weltwirtschaft zu kreieren."
SBF, CEO von FTX
Einschätzung: Eine absolute Shitshow
Angesichts der Geschehnisse in den letzten Tagen erscheint diese Lobesrede von SBF an CZ recht scheinheilig. Denn noch einen Tag zuvor tweetete SBF, dass ein Konkurrent ihnen, also FTX, mit falschen Gerüchten schaden wolle. Gemeint war eindeutig CZ, der zuvor öffentlich ankündigte, aus Misstrauen die FTX-Token (FTT) zu verkaufen.
1) "Ein Konkurrent versucht uns mit falschen Gerüchten zu überwältigen.
FTX geht es gut. Den Vermögenswerten geht es gut."
2) "FTX hat genug, um alle Bestände der Kunden abzudecken.
Wir investieren die Kundenbestände nicht (nicht einmal in Staatsanleihen).
Wir führen alle Auszahlungen durch und werden es auch weiterhin tun."
SBF, CEO von FTX
So gut konnte es um FTX und die Vermögenswerte der Kunden wohl nicht bestellt gewesen sein, denn ansonsten wäre FTX nicht in eine Liquiditätskrise geraten. Und auch die Aussage, dass die Auszahlungen weiterhin durchgeführt werden, stellte sich einen Tag später ebenfalls als nicht wahr heraus. Der Tweet wurde mittlerweile von SBF gelöscht.
Eine komplett gedeckte Handelsplattform würde nicht die Auszahlungen pausieren und sich an den größten Konkurrenten verkaufen, um Liquidität bereitgestellt zu bekommen. Allem Anschein nach blieb FTX gestern nichts anderes übrig, um nicht insolvent zu gehen.
Überdies gibt es Gerüchte, dass FTX die Bestände der Kunden als Sicherheiten für Kredite hinterlegt hat beziehungsweise damit spekuliert wurde. Um in dieser Hinsicht schlauer zu werden, braucht es eine Aufarbeitung der Geschäftspraktiken.
Letztlich brachte aber das offen geäußerte Misstrauen CZs an FTX den Stein erst so richtig ins Rollen. Nahe liegt, dass CZ die Chance genutzt hat, um einen der größten Konkurrenten zu Fall zu bringen respektive ihn möglichst günstig zu übernehmen. Dass dies aber mit ein paar Tweets bereits möglich ist, zeigt, wie fragil selbst die drittgrößte Krypto-Börse der Welt aufgestellt war.
Reaktion der Märkte
Angesichts der sich zuspitzenden Situation rund um FTX war der Bitcoin-Kurs bereits am Dienstagmorgen schon etwas schwächer. Als dann die "Versöhnung" der beiden CEOs verkündet wurde, gab es ein kleines Aufatmen, aber nur um dann letztlich richtig abzutauchen. Am frühen Dienstagabend unterschritt der Bitcoin-Kurs kurzfristig sein Jahrestief und notierte zeitweise bei etwa 17.000 US-Dollar.
FTT, der hauseigene Token von FTX, der im Zentrum des ganzen Debakels stand, scheint das gleiche Schicksal wie der Celsius-Token zu nehmen. Der Token fiel im Tagesverlauf von 22 auf unter 4 US-Dollar, ein Rückgang von über 80 %. Das Allzeithoch lag sogar bei über 75 USD.
Ausblick
Die nächsten Tage und Wochen werden voraussichtlich nicht weniger spannend. Erst einmal wird sich herausstellen, ob Binance FTX überhaupt übernehmen wird oder nicht doch von der Vereinbarung zurücktritt, auch wenn Letzteres eher unwahrscheinlich ist, denn ansonsten hätte Binance FTX vermutlich nicht unter die Arme gegriffen.
Wie CZ angekündigt hat, wird Binance FTX zuerst im Rahmen einer "Due diligance" gründlich prüfen lassen, um dann auch einen angemessenen Wert ermitteln zu können. Wie wir bei der Übernahme von Twitter durch Elon Musk gesehen haben, kann das unter Umständen lange dauern.
Des Weiteren bleibt auch abzuwarten, ob im Falle einer Übernahme FTX als eigenständige Handelsplattform überhaupt bestehen bleibt. Möglich ist, dass Binance sich lediglich die Technologie hinter FTX zunutze macht, um sie in der eigenen Plattform zu integrieren und FTX als Krypto-Börse sterben lässt. Der Name FTX könnte nun nämlich nachhaltig geschädigt sein, auch mit Binance im Rücken.
Ohnehin wird Binance aber von einem Abwandern der FTX-Nutzer auf Binance profitieren. Binance konnte sich heute nämlich als ein finanziell sehr stark aufgestellter Player beweisen. CZ bestätigte in einem weiteren Tweet, dass sein Unternehmen nicht die gleichen Fehler begeht, wie einige Andere Handelsplattformen.
"Zwei wichtige Lektionen:
1: Verwende niemals einen selbst erstellten Token als Sicherheit.
2: Verleihe nichts, wenn du ein Kryptogeschäft betreibst. Setze Kapital nicht „effizient“ ein. Habe eine große Reserve.
Binance hat BNB nie als Sicherheit verwendet und wir haben nie Schulden aufgenommen.Bleibt #SAFU [sicher; Wortspiel]."
@cz_binance
Die ganze Situation wird bereits von den Regulierungsbehörden beobachtet. Es ist auch nicht unüblich, dass Übernahmen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen geblockt werden, etwa wenn sich ein übermächtiges Monopol bilden könnte. Dafür lassen sich bei Binance durchaus Argumente finden.
Fazit
Die ganze Situation hat (berechtigterweise) ein schlechtes Licht auf die Krypto-Industrie geworfen. Das haben auch die Kurse von Kryptowährungen auf breiter Front widergespiegelt. Umso wichtiger ist es, dass Bitcoin in der Außenwahrnehmung als etwas gänzlich anderes wahrgenommen wird. Bitcoin hat keine Handelsplattform, respektive keinen CEO hinter sich. Bitcoin kann es letztlich auch egal sein, was mit den großen Krypto-Börsen und deren zentralisierten Token passiert.
Dennoch hat das Debakel rund um FTX auch noch einmal auf wichtige Themen aufmerksam gemacht. Einerseits, dass Coins, die nicht dezentral sind, immer einen Angriffspunkt haben. Anderseits, dass man seine Coins nicht auf Wechselbörsen liegen lassen sollte. Insolvenzen und/oder Auszahlungsstopps sind keine Seltenheit, auch nicht bei etablierten Handelsplattformen und solche Bank Runs, ausgelöst durch Misstrauen, können auch große Börsen treffen und schließlich zu Fall bringen.
Ein positiver Aspekt des Ganzen ist auch, dass nun mehr Krypto-Börsen dazu veranlasst werden könnten, ihre Bestände kryptografisch nachzuweisen. Das Konzept nennt sich Proof-of-Reserves und wird bisher von der Handelsplattform Kraken praktiziert. Transparenz in dieser Form würde auch tagelange Spekulationen, wie wir sie gerade erlebt haben, ob unbegründet oder nicht, obsolet machen. CZ kündigte im Zuge der Ereignisse an, dass Binance künftig mit Proof-of-Reserves starten wird.
"Alle Krypto-Börsen sollten gehasht Proof-of-Reserves durchführen.
Banken laufen auf Teilreserven. Krypto-Börsen sollten das nicht tun.
Binance wird mit Proof-of-Reserves bald starten. Volle Transparenz."
CZ, CEO von Binance
Zumindest gibt es bei Krypto-Börsen keine Rettungen auf Kosten der Allgemeinheit, wie es bei traditionellen Banken gerne mal der Fall ist.