Zurzeit wird mit vielen Mitteln probiert, das Vorgehen der US-amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC) mit ihrem Vorsitzenden Gary Gensler bei der Regulierung von Kryptowährungen infrage zu stellen. Nach der Einreichung eines Gesetzesentwurfs zur Umstrukturierung der SEC und Absetzung von Gary Gensler, sorgten in den letzten Tagen auch die sogenannten Hinman-Dokumente für Aufregung. 

Worum handelt es sich dabei und gefährden sie die Krypto-Regulierung der SEC?

William Hinmans Einordnung von Wertpapieren

Am 14. Juni 2018 hielt der damalige Direktor der Division of Corporation Finance (Unternehmensfinanzierung) bei der SEC, William (Bill) Hinman, eine Rede beim „Yahoo Finance All Markets Summit“, die auch auf der Webseite der SEC nachgelesen werden kann.

In der Rede hat Hinman eine Einordnung von Wertpapieren (en. securities) vorgenommen und die Frage aufgeworfen, ob ein digitaler Vermögenswert, der ursprünglich als Wertpapier angeboten wurde, im Laufe der Zeit zu etwas anderem als einem Wertpapier werden kann.

Hinman betonte, dass es entscheidend sei, nicht nur das digitale Asset selbst zu betrachten, sondern auch die Umstände und die Art und Weise, wie es verkauft wird. Es hänge von den spezifischen Umständen ab, sodass die Analyse, ob ein digitaler Vermögenswert ein Wertpapier ist oder nicht, auch nicht statisch sei.

Entscheidende Faktoren seien die „ausreichende Dezentralität“ der digitalen Umgebung oder das Vorhandensein eines zentralen Akteurs. Ist der Vermögenswert mit einem zentralen Unternehmen verbunden, dessen Einsatz ein Schlüssel zum Erfolg ist und Investoren anlockt, sollte das Asset als Wertpapier betrachtet werden. Steht hinter dem Asset kein zentraler Akteur und wird es nur noch zum Kauf von Waren und Dienstleistungen verwendet, könne man es als etwas anderes als ein Wertpapier ansehen.

Bitcoin und Ether sind keine Wertpapiere

Hinman vertritt in seiner Rede die Ansicht, dass viele digitale Assets, die als Utility-Token bezeichnet werden, als Wertpapiere betrachtet werden können. Die einzigen Assets, die Hinman in seiner Rede konkretisiert und nicht als Wertpapiere bezeichnet, sind Bitcoin und Ether. 

Wenn ich mir Bitcoin heute anschaue, sehe ich keine zentrale dritte Partei, deren Bemühungen ein entscheidender Faktor für die Unternehmung sind. Das Netzwerk, in dem Bitcoin funktioniert, ist funktionsfähig und scheint schon seit einiger Zeit dezentralisiert zu sein, vielleicht sogar von Anfang an. […]

Abgesehen von der Geldbeschaffung, die die Schaffung von Ether begleitete, handelt es sich nach meinem Verständnis des derzeitigen Stands von Ether, des Ethereum-Netzwerks und seiner dezentralen Struktur bei den derzeitigen Angeboten und Verkäufen von Ether nicht um Wertpapiertransaktionen. Und wie bei Bitcoin würde die Anwendung der Offenlegungsvorschriften der staatlichen Wertpapiergesetze auf aktuelle Ether-Transaktionen nur einen geringen Mehrwert bringen. 

Zitat aus der Rede von William Hinman

Im Laufe der Zeit könne es jedoch auch andere ausreichend dezentralisierte Netzwerke und Systeme geben, die nicht (mehr) von zentralen Akteuren abhängen und bei denen eine Regulierung der verwendeten Token oder Coins als Wertpapiere nicht erforderlich ist, fährt Hinman fort.

Leitlinien für Marktakteure

Darüber hinaus legt die Rede nahe, dass Unternehmen, die digitale Vermögenswerte oder Wertpapiere anbieten möchten, eine proaktive Herangehensweise an die regulatorischen Anforderungen verfolgen sollten. Sie sollten sich mit der SEC in Verbindung setzen, um ihre Absichten zu klären und sicherzustellen, dass sie die geltenden Vorschriften einhalten.

Hinman erklärte, dass die SEC bereit sei, den Marktakteuren bei der Klärung der rechtlichen Fragestellungen zu helfen. Schon in der Rede stellt Hinman einige Fragestellungen und weitere Leitlinien zur richtigen Einordnung eines digitalen Vermögenswertes bereit. Dazu gehören neben den zentralen Akteuren und der Dezentralität des Netzwerks unter anderem auch die Verteilung, die Preisgestaltung und der Nutzen der Token, das Engagement der Token-Inhaber sowie das Entwicklungsstadium des Netzwerks.

Die Rede von William Hinman verdeutlicht somit die Bestrebungen der SEC, den Bereich der digitalen Vermögenswerte und Wertpapiere angemessen zu regulieren und Investoren zu schützen.

 

Die Hinman-Dokumente

Die Hinman-Dokumente sind kürzlich veröffentlichte interne Unterlagen der SEC zu der Hinman-Rede von 2018, die bei dem langwierigen Gerichtsverfahren zwischen Ripple (XRP) und der SEC von den Ripple-Anwälten als Beweise angeführt werden. Das Unternehmen wurde von der SEC beschuldigt, durch den Verkauf des digitalen Vermögenswerts XRP unregistrierte Wertpapiergeschäfte getätigt zu haben. Außerdem wurden die beiden Führungskräfte von Ripple, Chris Larsen und Brad Garlinghouse, wegen fahrlässiger Missachtung des Wertpapierrechts angeklagt, da sie laut SEC hätten wissen müssen, dass XRP bereits 2013, als die Ausschüttungen begannen, ein Wertpapier war.

Die Dokumente zeigen einen Entwurf von Hinmans Rede, der im E-Mail-Austausch von seinen SEC-Kollegen kommentiert wurde. Dabei wurden sowohl unterstützende als auch kritische Anmerkungen abgeben. Sie wurden von der SEC lange zurückgehalten, bis sie schließlich im November letzten Jahres an Ripple übergeben und später veröffentlicht wurden.

Ether doch kein Wertpapier?

Aus den E-Mails geht hervor, dass Hinman die ausdrücklichen Warnungen von hochrangigen Beamten der SEC (Office of General Counsel, OGC) ignorierte und das Gesetz missachtet haben soll. 

Hinman entschloss sich beispielsweise, trotz der Einwände die Aussage zu tätigen, dass das Ethereum-Netzwerk „ausreichend dezentralisiert“ und Ether demnach kein Wertpapier sei. Einige SEC-Kollegen unterstützten Hinman bei dieser Aussage. Andere bezeichneten sie jedoch als „aus der Luft gegriffen“. Tatsächlich erhielt Hinman von einer Anwaltskanzlei, die für Ethereum warb, Millionen-Gehälter und konsultierte für die Rede außerdem die Ethereum-Foundation bzw. Vitalik Buterin, den Erfinder von Ethereum. 

Wir haben auch ein Telefonat mit Buterin später diese Woche, um zu bestätigen, wie die Ethereum-Foundation operiert.

William Hinman an seine Kollegen

Dadurch würde Hinman die Märkte „noch mehr verwirren“, als sie es ohnehin schon waren, vermerkten seine Kritiker aus der SEC. Die Aussagen zu Ether würden dem Rest seiner Rede widersprechen und zu „Schwierigkeiten“ führen, in Zukunft „eine andere Stellung einzunehmen“.

Wir haben immer noch Vorbehalte, eine Aussage direkt über Ether in die Rede aufzunehmen. Selbst mit den Vorbehalten in diesem Satz scheint es für die Behörde schwierig zu sein, in Zukunft eine andere Position zu Ether einzunehmen. Außerdem deutet der Rest des Absatzes stark darauf hin, dass sich die Überlegungen auf Ether beziehen. Ohne den Satz über Ether könnten diese Implikationen eine nützliche Reaktion von Käufern oder Personen im FinTech-Bereich in Bezug auf Ether hervorrufen. Mit dem Satz scheint sich die Reaktion weniger auf die Analyse zu konzentrieren, sondern eher auf die möglichen Folgen einer direkten Aussage über den Status von Ether als Wertpapier.

Zitat aus den Kommentaren der Hinman-Dokumente

Zum Zeitpunkt von Hinmans Rede im Jahr 2018 operierte das Ethereum-Netzwerk noch mit dem Proof-of-Work-Mechanismus. Mit dem Umstieg auf Proof-of-Stake beseitigte die Ethereum-Foundation einen Großteil der Netzwerkteilnehmer. Dadurch verlor das Netzwerk seinen dezentralen Charakter und geriet in den Fokus der SEC. Der heutige SEC-Vorsitzende, Gary Gensler, steht dem Staking bei Kryptowährungen eher kritisch gegenüber. Möglicherweise geriet er aufgrund der Hinman-Rede z.B. bei der Anhörung vor dem Finanzausschuss in Erklärungsnot.

Interne Streitigkeiten bei der SEC?

Zusätzlich wurde Hinman für die Aussage gerügt, dass in dem Bereich der Kryptowährungen eine „Regulierungslücke“ bestehe, da digitale Vermögenswerte in eine „andere“ Kategorie fielen, die nicht durch den Howey-Test, der für die Definition von Wertpapieren benutzt wird, abgedeckt sei. Somit würde die SEC eigentlich nicht dafür zuständig sein.

Die Tatsache, dass Token in einem hinreichend dezentralisierten Netzwerk keine Wertpapiere mehr sind - und nicht mehr registriert werden müssen, mit all den Vorteilen, die eine Registrierung für die Anleger mit sich bringt -, scheint auf das hinzuweisen, was man als „regulatorische Lücke“ in diesem Bereich bezeichnen könnte.

Mit anderen Worten, diese Rede erkennt an, dass es eine „andere“ Kategorie gibt - es ist kein Wertpapier, weil es keine „kontrollierende“ Gruppe gibt (zumindest im Sinne von Howey), und doch kann es, wie bei vielen anderen Dingen (Medikamente, Kreditkarten), einen Bedarf an Regulierung geben, um die Käufer zu schützen.

Zitat aus den Kommentaren der Hinman-Dokumente


So kann man anhand der Dokumente interpretieren, dass sich die SEC intern über ihre Zuständigkeit und die eigenen Regeln gestritten hat, während nach außen eine „Klarheit der Regeln“ vermittelt wurde und Unternehmen aufgrund der Missachtung dieser Regeln verklagt wurden. 

 Jedoch darf man auch nicht außer Acht lassen, dass sich der jetzige Chef der SEC, Gary Gensler, nun schon mehrfach eindeutig zu Altcoins und Bitcoin positioniert hatte – lange nach der Hinman-Rede.

Ripple vs. SEC

Die internen Streitigkeiten wollen sich insbesondere die Anwälte von Ripple zunutze machen. 

Aus den Hinman-Dokumenten geht zwar eindeutig hervor, dass es Absprachen gab – unter anderem mit dem damaligen Vorsitzenden der SEC, Jay Clayton – trotzdem werden die Aussagen von Hinman durch den Leiter der Rechtsabteilung von Ripple, Stuart Alderoty, grundlegend angezweifelt. Aufgrund der massiven Kritik seiner Kollegen hätte Hinman eine Einschätzung von Ether nicht öffentlich vornehmen dürfen. Hinman habe Verwirrung gestiftet und ohne rechtliche Grundlage einfach neue Richtlinien geschaffen und Analysen erfunden, so Alderoty auf Twitter. Die Hinman-Rede dürfe von der SEC nicht mehr angepriesen und müsse von ihrer Webseite entfernt werden. Schließlich fordert Alderoty, dass diese Rede „nie wieder in einer ernsthaften Diskussion darüber zitiert werden darf, ob ein Token ein Wertpapier ist oder nicht.“

Ob der Prozess damit zugunsten von Ripple entschieden wird, bleibt fraglich. Sollte Ripple bei dem Gerichtsverfahren erfolgreich sein, würde dadurch ein Präzedenzfall geschaffen werden, was womöglich auch das Aus für die Klagen gegen Binance und Coinbase bedeuten könnte. Dadurch würde auch die damit verbundene Einordnung diverser Token als Wertpapiere infrage gestellt. Wenn sich das Gericht jedoch gegen Ripple entscheidet, könnten hingegen viele weitere rechtskräftige Klassifizierungen von Token als Wertpapier folgen.

Fazit

Die Hinman-Dokumente sind ein weiterer Versuch der Kryptobranche, der Regulierung von Kryptowährungen durch die SEC entgegenzuwirken, um ihre eigenen fragwürdigen Geschäftsmodelle, die oft hochriskante Investmentmöglichkeiten beinhalten, zu bewahren.

Kryptounternehmen, die eine zentrale Funktion für ihr Netzwerk einnehmen, dieses aber als dezentral tarnen, hatten schon vor fünf Jahren die Gewissheit, dass ihre Token als Wertpapiere eingestuft würden.

Die Hinman-Rede könnte auch erklären, warum die Einordnung von Ether als Wertpapier in letzter Zeit nicht eindeutig formuliert wurde. Vermutlich folgt in naher Zukunft oder mit dem Urteil im Ripple-Prozess eine Klarstellung.

Es ist natürlich nicht leicht, bei einem neuen Phänomen wie den Kryptowährungen eine faire Einordnung mit all ihren Nuancen vorzunehmen. Deshalb gab es bei der SEC auch ein paar interne Unstimmigkeiten zu einigen Themen. Doch die Tatsache, dass die Rede von Hinman nach fünf Jahren noch immer auf der Webseite der SEC zu finden ist und als Orientierung für die Einordnung eines digitalen Vermögenswertes als Wertpapier empfohlen wird, zeigt, dass die Rede nicht unbedeutend ist.

Eines wird mit den Hinman-Dokumenten aber erneut klargestellt: Bitcoin ist eindeutig kein Wertpapier!