Island ist in Bezug auf das Bitcoin-Mining seit nun knapp zehn Jahren eines der führenden Länder in Europa. Doch jetzt hat die Diskussion über die Auswirkungen des Bitcoin-Minings auf die Umwelt und die Gesellschaft auch Island erreicht. Die Premierministerin von Island, Katrín Jakobsdóttir, hat vor wenigen Tagen die Probleme der nachhaltigen Nahrungsmittelversorgung des nordischen Inselstaates mit dem hohen Stromverbrauch des Bitcoin-Minings in Verbindung gebracht. Die links-grüne Politikerin sieht Bitcoin als ein „weltweites Problem“ und will die Prioritäten von Island neu bestimmen. Doch liegt sie damit richtig?

Island – ein ideales Land fürs Bitcoin-Mining

Für Bitcoin-Mining-Unternehmen ist Island ein sehr attraktiver Standort. Das stabile kühle Klima mit Durchschnittstemperaturen zwischen 1 und 12 Grad Celsius bietet eine natürliche Luftkühlung für die Abwärme produzierende Bitcoin-Mining-Industrie. Es bedarf weder einer zusätzlichen Infrastruktur für die Kühlung noch großer Ausgaben für die Gerätewartung, da die ASICs bei derartigen Temperaturen länger halten und es weniger Ausfälle gibt. Zudem können die Mining-Unternehmen durch das fast grenzenlose isländische Wasservorkommen zusätzlich Konzepte mit Wasserkühlung anwenden.

Island gehört mit Norwegen zu den einzigen Ländern, die ihren Stromverbrauch komplett mit erneuerbarer Energie decken können. Die Energie stammt zu 69 Prozent aus Wasserkraft (z.B. von Wasserfällen) und zu 31 Prozent aus Geothermie (der Vulkane). Dabei wird so viel erneuerbare Energie erzeugt, dass Island pro Kopf (d.h. auf die 375.000 Einwohner gerechnet) weltweit am meisten Strom produziert. Es ist so gesehen das energiereichste Land der Welt und produziert doppelt so viel Strom wie Norwegen, das bei der Pro-Kopf-Produktion den zweiten Platz einnimmt.

Aus diesem Grund ist der Strom in Island auch günstiger als in anderen Regionen der Welt. Die Stromtarife des staatlichen Energieversorgers Landsvirkjun pendelten sich in den letzten fünf Jahren zwischen 51 und 71 US-Dollar pro Megawattstunde (MWh) ein. Im Vergleich zu anderen nordischen Ländern sind die Preise etwas teurer, was vor allem an der hohen Stromnachfrage der energieintensiven Industrie in Island liegt.

Landsvirkjun und zwei private Energieunternehmen verkaufen den Strom über langfristige Verträge mit festen (und bei hoher Abnahme oft auch günstigeren) Preisen, zum Beispiel an Aluminium-Produzenten, die 70 Prozent der Energie verbrauchen. Island ist Platz 10 der weltweiten Aluminium-Produzenten und auf Platz 1 der Aluminiumproduktion pro Kopf. Durch den hohen Strombedarf bei der Herstellung wird beim Aluminiumexport indirekt auch die erneuerbare Energie exportiert.

Ein weiterer großer Abnehmer der nachhaltigen Energie sind Bitcoin-Mining-Unternehmen wie Greenblocks, Advania Data Centers, Genesis Mining, Bitfury oder Hive Blockchain. Island war ein Early Adopter, wenn es ums Bitcoin-Mining geht. Aber auch in Bezug auf Geothermie hat das nordische Land eine Pionierrolle eingenommen. Schon seit mehreren Jahren betreibt Island „Vulkan-Mining“ in einem weitaus größeren Maßstab als El Salvador.

Gemäß den Angaben des Forschungsunternehmens Luxor sorgt Island mit insgesamt 120 Megawatt, die aktuell für das Bitcoin-Mining verwendet werden, für 1,3% der globalen Hashrate. Das macht Island zum größten Hashrate-Produzenten pro Kopf. Jedoch verbraucht die Mining-Branche auch mehr Strom als alle Haushalte des Landes.

Erhöhte Nachfrage nach Strom

In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach der nachhaltigen Energie jedoch enorm angestiegen, während die Stromproduktionskapazität der Wasserkraft- und Geothermie-Anlagen an ihre Grenzen stößt. Aufgrund dieser Stromknappheit können die Bitcoin-Mining-Unternehmen keine weiteren Rechenzentren errichten. Somit ist das Wachstumspotenzial der Bitcoin-Mining-Industrie ausgeschöpft. Wenn andere energieintensive Industrien ihren Betrieb einstellen würden, könnten die Miner die freigewordene Elektrizität verbrauchen und neue Anlagen errichten. Ansonsten wäre ein weiteres Wachstum der Mining-Branche nur durch die Errichtung neuer Kraftwerke möglich. Derartige Pläne existieren zurzeit jedoch nicht.

Da die Bitcoin-Mining-Industrie in Island in den letzten zehn Jahren keinerlei Probleme mit staatlichen Behörden hatte, galt Island als eines der für das Bitcoin-Mining politisch stabilsten Länder, die es gibt. Während andere nordische Länder, wie Norwegen oder Schweden, die Stromsteuer für Rechenzentren erhöhten und das Bitcoin-Mining unattraktiver machen wollten, hatten politische Veränderungen in Island bisher nur wenig Auswirkungen auf die Mining-Industrie, die dort eine große Lobby hinter sich hat. Durch den Vorstoß der Premierministerin hat sich das nun jedoch geändert.

Weniger Bitcoin-Mining, mehr Nahrungsmittel?

Aufgrund der sich wandelnden Situation in der Landwirtschaft durch neue Regelungen zur Verringerung der CO₂-Emissionen ist Jakobsdóttir besorgt über die Ernährungssicherheit in Europa. Große Agrarexporteure wie Frankreich und die Niederlande mussten sich auf die Klimaziele der EU einstellen. Dabei wurden beispielsweise mehrere landwirtschaftliche Betriebe geschlossen, wodurch auch Lieferketten unterbrochen wurden. 
Die isländische Premierministerin sieht einen zunehmenden Trend zum Isolationismus in der Welt und will deshalb auch die Prioritäten Islands neu definieren. Dazu will sie zunächst die Nahrungsimporte verringern und die eigene Nahrungsmittelproduktion ankurbeln.

Bisher wird nur etwa ein Fünftel der Landesfläche für die landwirtschaftliche Produktion genutzt. Dabei schränken die klimatischen Bedingungen den Anbau auch ein. Während die tierischen Produkte größtenteils selbst produziert werden, müssen 99 Prozent des Getreides und 57 Prozent des Gemüses importiert werden. Während Island tropische Früchte im Wert von 234.000 US-Dollar exportiert, müssen Lebensmittel im Wert von 9,28 Millionen US-Dollar importiert werden – eine große Lücke in der Handelsbilanz des Landes.

Island sei zum Beispiel „sehr abhängig von importiertem Mais“, erklärt Jakobsdóttir gegenüber der Financial Times. Um dies zu ändern, plant sie eine Umgestaltung der Landwirtschaft und eine Ausweitung der eigenen Nahrungsmittelproduktion. Dadurch soll die Abhängigkeit von Importen für Grundnahrungsmittel verringert und die lokale Produktion autarker sowie nachhaltiger werden. Dies soll insgesamt zur Erhöhung der Nahrungsmittelsicherheit beitragen.

Zusätzlich sollte die erneuerbare Energie besser umverteilt werden, damit der Energiebedarf der isländischen Bevölkerung ganzjährig gewährleistet werden kann, fügt Jakobsdóttir hinzu. Im Winter mussten die isländischen Fischverarbeitungsbetriebe aufgrund der Stromknappheit auf Öl- und Dieselgeneratoren zurückgreifen, um ihren Energiebedarf zu decken. Diese „inakzeptable“ Situation soll sich ändern, indem die Bitcoin-Mining-Unternehmen gezügelt werden.

Bitcoin ist ein weltweites Problem, aber die Rechenzentren in Island verbrauchen einen großen Teil unserer grünen Energie. […] Bitcoin und Kryptowährungen […] sind nicht Teil [unserer] Mission.
Katrín Jakobsdóttir im Interview

Die Einschränkung des Bitcoin-Minings soll demnach zu einer gewissen Nahrungsmittelsicherheit sorgen. Eine mögliche Lösung für die Stromknappheit könnten Demand-Response-Programme sein, bei denen die Bitcoin-Miner als variable Verbraucher betrachtet werden, deren Betrieb bei Bedarf schnell heruntergefahren werden kann. Doch wäre es nicht sinnvoller, die Eigenschaften der ASICs für die Nahrungsmittelproduktion zu nutzen und eine symbiotische Beziehung zu erschaffen? Könnte Bitcoin nicht das Problem, sondern eher die Lösung der Nahrungsmittelunsicherheit sein?

Landwirtschaft und Bitcoin-Mining

Blocktrainer.de berichtete bereits mehrfach über die positiven Auswirkungen von Bitcoin auf die Umwelt und Gesellschaft. Neben diversen Konzepten von der Integration von Bitcoin-Mining auf Mülldeponien, wurden auch die Nutzung der Abwärme für Heizsysteme und der Einsatz von Bitcoin-Mining bei der Lebensmittelproduktion thematisiert.

Weitere Beispiele für die Synergie zwischen Bitcoin-Mining und nachhaltigen Praktiken sind Bitcoin Brabant in den Niederlanden und das Projekt des Prager Unternehmers Kamil Brejcha. Die Abwärme der ASICs wird zum Anbau von Lebensmitteln in Gewächshäusern genutzt. Diese Projekte verdeutlichen den Wechsel von konventionellen Heizmethoden zu einer nachhaltigen Nutzung der Abwärme der Bitcoin-Mining-Geräte, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden (in diesen Fällen Energie aus Solarmodulen und Bioabfällen).

Dies stellt eine kostengünstige Heizlösung für Unternehmen und Gewächshäuser dar und liefert ein praktikables Modell für Island: Die Integration von Bitcoin-Mining kann zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen und gleichzeitig die lokale Landwirtschaft fördern und die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten und die damit verbundenen CO₂-Emissionen verringern. Dadurch könnte das Problem Islands gelöst werden, ohne auf den wirtschaftlichen Aspekt des Bitcoin-Minings (finanzielle Gewinne) verzichten zu müssen.

Blocktrainer.de berichtete bereits mehrfach über die positiven Auswirkungen von Bitcoin auf die Umwelt und Gesellschaft. Neben diversen Konzepten von der Integration von Bitcoin-Mining auf Mülldeponien, wurden auch die Nutzung der Abwärme für Heizsysteme

Mit der symbiotischen Beziehung zwischen Technologie und Landwirtschaft wird demonstriert, wie Bitcoin-Mining und Landwirtschaft voneinander profitieren können. Durch die Abwärmenutzung können nachhaltigkeitsbewusste Unternehmen neben der Nahrungsmittelproduktion zusätzliche Einnahmen generieren und ihren ökologischen Fußabdruck verbessern.

Anstatt eine Unvereinbarkeit zwischen Bitcoin-Mining und einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion zu konstruieren und dem einen gegenüber dem anderen Vorrang einzuräumen – so wie es die isländische Premierministerin getan hat – sollte Island die Herausforderung als Chance betrachten und der Welt zeigen, wie man erneuerbare Ressourcen und Technologie sinnvoll miteinander verbinden kann. Anstatt das Potenzial und die wirtschaftlichen Vorteile des Bitcoin-Minings aufzugeben, sollte es lieber für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum genutzt werden. Mit dem Bitcoin-Mining kann Island die Nutzung der erneuerbaren Energie optimieren, die eigene Landwirtschaft stärken und die Position als europäisches Zentrum des Bitcoin-Minings festigen. Island braucht sich nicht zwischen Nahrungsmittel und Bitcoin zu entscheiden – es kann beides haben.

Stefan

Über den Autor: Stefan

Stefan ist studierter Medienwissenschaftler und Sinologe sowie selbstständig im künstlerisch-publizistischen Bereich. Neben den monetären Eigenschaften interessiert er sich vor allem für die sozialen und ökologischen Aspekte von Bitcoin und dem Bitcoin-Mining.

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