Dass Nayib Bukele, der Präsident von El Salvador, bereits in diesem Jahr mit dem Bau seiner angekündigten „Bitcoin-City“ beginnen möchte, kommt für viele Beobachter sicherlich gleichermaßen überraschend wie überhastet. Erst vor wenigen Wochen stellte das Staatsoberhaupt das Konzept in rudimentären Zügen einem Publikum vor, welches übermäßig aus Bitcoin-Enthusiasten aus aller Welt bestand.

Während er selbst es als ein futuristisches Mekka für Technologie und Innovation anpries und es mit dem altertümlichen Machtzentrum Alexandria verglich, stand vielen der anwesenden Personen die Skepsis deutlich ins Gesicht geschrieben. Blocktrainer.de war damals ebenfalls mit einem Team vor Ort und konnte das Geschehen live beobachten.

Auf den ersten Blick wirkte die ganze Präsentation sehr surreal, das Konzept wenig durchdacht und wie aus der Feder eines Design- oder Architektur-Studierenden. Tatsächlich sind mittlerweile einige weitere Informationen dazu aufgetaucht, die vor allem die Volksrepublik China in diesem Zusammenhang mit auf die Bühne rufen.

Konzept aus dem Internet?

Vor Kurzem wurde bekannt, dass es sich bei dem Konzept zwar nicht um das Werk eines sich in der Ausbildung befindenden Städteplaners handelt, aber um die Adaption eines Entwurfs des Architektur-Büros FR-EE (Fernando Romero Enterprise) aus dem Jahr 2012.

Die Ähnlichkeit zur Bitcoin-City ist unverkennbar.
Quelle: FR-EE

An manchen Stellen wurde indessen behauptet, die salvadorianische Regierung hätte das Konzept einfach aus dem Internet heruntergeladen, geklaut und als eigenes präsentiert. Tatsächlich ist bis heute nicht genau klar, ob nicht einfach eine Zusammenarbeit zwischen dem Staat El Salvador und FR-EE besteht. Immerhin äußerte sich der Gründer der Firma, Fernando Romero, laut eines Berichts auf einem Design-Blog sogar positiv zum geplanten Projekt.

„Bitcoin City ist eine Stadt, die die Zukunft eines Landes definieren wird. Sie repräsentiert die führende Rolle El Salvadors im Bereich der Stadtplanung mit einer zukunftsorientierten Vision.“

Fernando Romero, Architekt

Ob das Städtekonzept auch tatsächlich so umgesetzt werden kann, ist natürlich fraglich, viel interessanter, als die Herkunft des futuristischen Stadtplans, ist allerdings die Herkunft der Idee zur Umsetzung des Projekts.

Die Rolle Chinas in El Salvador

Noch vor wenigen Jahren gab es keinerlei diplomatische Beziehungen zwischen El Salvador und der Volksrepublik China. Eher das Gegenteil. Bis zum Jahr 2018 pflegte die salvadorianische Regierung gute Kontakte nach Taipeh und gehörte zu den weltweit nur 18 Ländern, die Taiwan offiziell als Staat anerkannten. Diese Beziehungen wurden jedoch von Bukeles Vorgänger Sánchez Cerén abgebrochen und seit Ende 2018 nähern sich El Salvador und China nun auf diplomatischer sowie wirtschaftlicher Ebene einander an. Besonders seitdem Nayib Bukele im Juni 2019 zum Präsidenten des Landes wurde, wurden die Beziehungen weiter gefestigt und im Dezember 2019 war der salvadorianische Präsident sogar zu einem offiziellen Staatsbesuch in Peking zu Gast.

Quelle: Auswärtiges Amt der Volksrepublik China

Während dieses Besuchs unterzeichnete Bukele eine Reihe von Absichtserklärungen, in denen China El Salvador 500 Millionen US-Dollar für Entwicklungsprojekte versprach, darunter ein Sportstadion und eine neue, 40 Millionen US-Dollar teure Nationalbibliothek in San Salvador, einen neuen Touristensteg in La Libertad, 85 Millionen US-Dollar zur Verbesserung der Wasseraufbereitungsanlagen in La Libertad und Ilopango und 200 Millionen Dollar zur Unterstützung von Bukeles "Surf City"-Projekt, das El Salvadors Pazifikküste in ein Strandurlaubsziel verwandeln soll. Auch ein Freizeitpark soll dort entstehen.

Die Restaurierung und Erweiterung des Piers am Hafen von La Libertad hat bereits begonnen. Davon konnte sich erst kürzlich die „deutsche Bitcoin-Delegation“ auf ihrer Reise nach Mittelamerika überzeugen.

Der Ausbau am Strand und im Hafen von La Libertad ist bereits in vollem Gange.

Durch diese bilateralen Abkommen verspricht sich das Land El Salvador natürlich wirtschaftlichen Aufschwung und einen höheren Lebensstandard für die Bevölkerung sowie mehr Tourismus im Land. China hingegen möchte sich mit der Finanzierung solcher Projekte ein wenig die Tür nach Mittelamerika öffnen. Ein gut ausgebauter Hafen an der amerikanischen Westküste könnte sich schließlich sowohl für militärische als auch geostrategische Zwecke eignen.

Bitcoin City - China City?

Ebendarum gab es bereits vor einigen Jahren Bestrebungen seitens Chinas mit der vorherigen salvadorianischen Regierung einen Deal abzuschließen, der die Errichtung einer Sonderwirtschaftszone inklusive einer eigenen Stadt im Golf von Fonseca zum Ziel hatte.

Quelle: Beijing Asia Pacific Xuan Hao Project Investment Co., Ltd.

Moment mal! Eine Planstadt und die Schaffung einer Zone zur Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung im Grenzgebiet zu Honduras und Nicaragua? Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor...

Ach ja! An genau jenem Ort soll doch auch die Bitcoin City gebaut werden, die darüber hinaus als Sonderwirtschaftszone fungieren soll.

Bitcoin-City soll im Süd-Osten des Landes entstehen. In genau jenem Gebiet, in dem auch die chinesische Stadt geplant war.
Quelle: OpenStreetMap

Das innovative Bitcoin-Projekt scheint in der Tat also nur ein recyceltes Konzept zu sein, welches bereits von der salvadorianischen Vorgängerregierung zusammen mit der Volksrepublik China erdacht wurde. Das "ZEDE"-Projekt (dt. Zone für Beschäftigung und ökonomische Entwicklung) sollte natürlich einen deutlich größeren Umfang haben und mitunter mehr als 10% der Fläche von El Salvador und fast die Hälfte der eigenen Küste an die Volksrepublik China vermieten.

Gleichwohl ähneln sich die Konzepte sehr stark. Beispielsweise hatte auch die "China-City" ein zirkuläres Design.

Erinnert an die "Bitcoin City". Ein Screenshot aus einer chinesisch-salvadorianischen Investment Broschüre.
Quelle: Beijing Asia Pacific Xuan Hao Project Investment Co., Ltd.
Mehr als 10% der Landesfäche sollte laut der Pläne zur Sonderwirtschaftszone werden.
Quelle: Americas Quarterly

Interessanterweise war Präsident Bukele damals noch kein Freund von Projekten dieser Art. In einem Tweet im Juli 2018 kritisierte er (damals noch als Bürgermeister von San Salvador) die Pläne öffentlich.

"Das Projekt "ZEDES" ist das neoliberalste Projekt, das je von einer Regierung in der Geschichte unseres Landes vorgeschlagen wurde.

Ja, und der Vorschlag stammt von der zweiten "linken" Regierung, die sich im letzten Jahr ihrer Amtszeit befindet.

Einfach so, ein Gebiet privatisieren.

Unglaublich."

Nayib Bukele

Etwas mehr als drei Jahre später ist er mit der Bitcoin City nun selbst dabei, ein Projekt dieser Art umzusetzen. Die Kritik scheint also verflogen. Die Schaffung einer Art Mini-Staat im eigenen Land, der seine eigene Politik, Regularien sowie (Geld-) und Fiskalpolitik definiert, ist inzwischen das erklärte Ziel. Doch woher kommt der Sinneswandel?

Steckt China hinter der Einführung von Bitcoin?

Erst gestern berichtete die Nachrichtenseite elsalvador.com darüber, dass die alten Pläne aus dem Jahr 2018 noch immer in den Schubladen der aktuellen Regierung liegen und insbesondere aufgrund der starken Annäherung zwischen El Salvador und der Volksrepublik China wieder stark an Bedeutung gewinnen könnten.

Pedro Campoy, Wirtschaftsprofessor an einer spanischen Universität und Kolumnist für Murcia Economia, schreibt von einem weiteren Szenario, in dem nicht nur die Entwicklung dieser Wirtschaftszone und die salvadorianischen Beziehungen zu China, sondern auch das Beharren der Regierung darauf, dass Bitcoin in El Salvador als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet wird, eine Rolle spielen.

Seiner Meinung nach könnte nämlich China hinter der Bitcoin-Adoption durch El Salvador stecken. Das Regime in Peking verfolgt das Ziel, Mittelamerika zu destabilisieren, um den eigenen wirtschaftlichen Einfluss in der Region zu erhöhen und z.B. eine alternative Seeroute nach Panama zu schaffen.

Die Entdollarisierung des Landes ist natürlich ein wichtiger Schritt in die gewünschte Richtung. Campoy behauptet darüber hinaus, dass China angeblich auch mit einem großen Posten am salvadorianischen Staatsfonds beteiligt ist, der den Währungstausch zwischen BTC und US-Dollar garantiert. Einen Beweis dafür gibt es allerdings nicht.

Das ganze Projekt der Einführung von Bitcoin als gesetzlichem Zahlungsmittel und dem Bau der Bitcoin City wirkt unter Berücksichtigung der alten chinesischen Pläne und dem aktuellen Engagement Chinas in El Salvador definitiv dubios. Wir können nur hoffen, dass die Zeit etwas mehr Licht ins Dunkel bringt, um die Hintergründe und Visionen besser verstehen zu können.

Bis es so weit ist, bleibt uns ohnehin nichts anderes übrig, als die Augen offenzuhalten und alles zu beobachten. Eine gesunde Portion Skepsis ist selten fehl am Platz.