Ende April 2021 wurde der schwedisch-russische Staatsbürger Roman Sterlingov in Los Angeles verhaftet und für den angeblichen Betrieb des Mixing-Services Bitcoin Fog sowie die damit verbundenen Geldwäscheaktivitäten angeklagt – Blocktrainer.de berichtete. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Obwohl Sterlingov seine Unschuld beteuert und keine eindeutigen Beweise für seine Schuld existieren, hat ihn die US-Regierung lediglich aufgrund von schwachen Indizien, die hauptsächlich auf der Blockchain-Analyse des Unternehmens Chainalysis beruhen, vor Gericht gezogen.

Der Prozess sollte bereits im September letzten Jahres stattfinden, wurde aber auf den Februar dieses Jahres verschoben. Am 12. März haben die Geschworenen das Urteil gefällt: schuldig in allen Anklagepunkten.

Die Anklagepunkte

Laut den Ausführungen der Staatsanwaltschaft sowie dem Urteil der Geschworenen soll der 35-jährige Roman Sterlingov in den vier Anklagepunkten – Geldwäsche, Verschwörung zur Geldwäsche sowie das Betreiben und die Nichtregistrierung eines Geldübermittlungsdienstes – „eindeutig“ schuldig sein. Demnach soll er von Oktober 2011 bis April 2021 den Mixing-Dienst Bitcoin Fog betrieben haben, mit dem die Quellen von mehr als 1,2 Millionen Bitcoin im damaligen Wert von mehr als 400 Millionen US-Dollar aus illegalen Aktivitäten (wie zum Beispiel Darknet-Märkten wie Silk Road und AlphaBay) verschleiert wurden.

In ihrem Schlusssplädoyer betonte die Staatsanwältin Catherine Pelker, dass aus den „Beweisen“ klar hervorgehen würde, dass Sterlingov eine entscheidende Rolle bei Bitcoin Fog eingenommen habe und er „die ganze Operation ins Leben gerufen hat, um Kriminellen zu helfen, ihr Vermögen zu verstecken“.

Grundlage für diese Behauptungen waren einige Transaktionen, die von Sterlingovs Mt.Gox-Konto ausgingen und dann mit organisatorischen Aktivitäten rund um Bitcoin Fog in Verbindung gebracht wurden. Dass Sterlingov unwissentlich Gelder an die potenziellen Betreiber von Bitcoin Fog geschickt haben könnte, ohne etwas mit dem Betrieb des Mixing-Dienstes zu tun zu haben, hielten die Staatsanwaltschaft sowie die Geschworen für nicht schlüssig.

Verteidiger legen Berufung ein

Sterlingov gab zwar zu, dass er aus datenschutzrechtlichen Gründen privater Nutzer von Bitcoin Fog war, jedoch nicht als Betreiber fungierte. Seine Verteidiger, Tor Ekeland und Mike Hassard, betonten, dass es keine stichhaltigen Beweise für seine Beteiligung an Bitcoin Fog gibt, weder Zeugen und Serverprotokolle noch Hinweise auf Sterlingovs elektronischen Geräten oder Notebooks oder private Schlüssel für Bitcoin-Adressen mit illegalen Geldern.

Zudem sei es unlogisch, die Finanzierung und Organisation des Mixing-Dienstes von einem leicht nachverfolgbaren Konto, das auf Sterlingovs Namen registriert ist, zu beginnen. Außerdem würde der bescheidene Lebensstil von Sterlingov nicht mit den angeblich Hunderten von Millionen US-Dollar, die die Bitcoin-Fog-Betreiber durch die Gebühren eingenommen haben, übereinstimmen.

Der entscheidende Kritikpunkt der Verteidiger ist die Zuverlässigkeit des Blockchain-Analyse-Unternehmens Chainalysis und dessen Rückverfolgungsheuristiken („Co-Spend“ und „Peel-Chain“). Genau diese werden von den Verteidigern infrage gestellt. Jegliche Beweisführung und Zeugenaussagen, die auf der Analyse des Unternehmens beruhen, sollten vor Gericht als nicht zulässig gelten – insbesondere nicht, wenn es um schwerwiegende Vorwürfe geht und jemandem Jahrzehnte im Gefängnis drohen. Das Gericht lehnte die entsprechenden Anträge jedoch ab und stellte fest, dass die Regierung Chainalysis für zuverlässig hält.

Mit dem Urteil drohen Sterlingov nun bis zu 20 Jahren Haft, nachdem er bereits fast drei Jahre in Untersuchungshaft gesessen hatte. Die Verkündung der Strafe ist für den 15. Juli geplant. Sterlingovs Anwälte werden gegen das Urteil Berufung einlegen.

Kann man Chainalysis vertrauen?

Im Vorfeld des Prozesses haben Analyse-Experten und sogar die zuständige Staatsanwältin davon abgeraten, sich auf die Methoden von Chainalysis zu verlassen. Die Staatsanwältin hat jedoch genau das getan und dabei ihren eigenen Rat missachtet.

Mit dem Urteil scheint nun ein Präzedenzfall geschaffen worden zu sein, dass man den „Schätzungen“ privater Analyse-Unternehmen vertrauen kann, sodass sie offiziell als Hauptbeweismittel angeführt werden können. Doch die Methoden des Unternehmens brauchen einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standzuhalten. Sie sind nicht nur unüberprüfbar, sondern auch nicht fehlerfrei und führen oft zu falschen Schlussfolgerungen. Für die sich daraus ergebenen Konsequenzen brauch das Unternehmen keine Verantwortung zu übernehmen. Im Gegenteil – wenn die gewünschten Ergebnisse gut bezahlt werden, könnte die Richtigkeit der Daten für das gewinnorientierte Unternehmen nicht so wichtig sein wie die Zufriedenheit der Kundschaft – in diesem Fall die US-Regierung, die schon oft die Dienstleistungen in Anspruch genommen hat, um Geldwäscheaktivitäten zu verfolgen.

Doch die Meinung der Regierung über die Zuverlässigkeit eines Unternehmens sollte nicht dazu führen, dass Menschen jahrelang eingesperrt werden können – insbesondere nicht, wenn Experten die Zuverlässigkeit, Legitimität und Integrität der Daten und Methoden anzweifeln. Die Macht, die einem privaten Unternehmen dadurch in strafrechtlichen Ermittlungen zugesprochen wird, könnte die Rechtsstaatlichkeit unterwandern. Demnach sollten derartige Daten nicht vor Gericht zulässig sein und zumindest unabhängig und wissenschaftlich überprüft werden, um Fehlurteile zu verhindern.

Roman Sterlingov hat sich frühzeitig mit Bitcoin und Privatsphäre beschäftigt, was dazu führte, dass er Bitcoin Fog benutzte, was die Blockchain-Analyse bestätigte. Zusammen mit seinem Interesse für Computer und seiner russischen Abstammung hat das anscheinend ausgereicht, um ihn nun für etwas zu verurteilen, das nicht eindeutig bewiesen werden konnte, sondern nur auf den Analysedaten eines gewinnorientierten und privatwirtschaftlichen Unternehmens beruht. Es ist ein unfassbares und zugleich erschreckendes Urteil, denn es kann praktisch jeden Bitcoin-Nutzer treffen – die Dienstleistungen von Chainalysis werden bereits regelmäßig auch in Deutschland eingesetzt.