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Roman Sterlingov, ein schwedisch-russischer Staatsbürger, steht derzeit im Mittelpunkt eines komplexen und kontroversen Falles, der sowohl die Zuverlässigkeit von Blockchain-Analysetools insbesondere der Firma Chainalysis als auch des US-Rechtssystems infrage stellt. Er wurde im April 2021 verhaftet und wird beschuldigt, den Mixing-Service "Bitcoin Fog" betrieben zu haben. Die US-Regierung wirft ihm vor, an illegalen Geldwäscheaktivitäten im Wert von über 300 Millionen US-Dollar beteiligt gewesen zu sein. Heute sollte eigentlich der Prozess beginnen, wurde jedoch kurzfristig vertagt.

Der Fall Sterlingov

Der damals 33-jährige Sterlingov, wurde im Frühjahr 2021 am Flughafen von Los Angeles von Ermittlern des Internal Revenue Service (IRS) verhaftet. Er wird, wie eingangs geschildert, beschuldigt Bitcoin Fog gegründet und betrieben zu haben. Die US-Justizbehörde wirft ihm Geldwäsche in Höhe von rund 336 Millionen US-Dollar vor. Sterlingovs Verteidigung, angeführt vom bekannten Hacker-Anwalt Tor Ekeland, hat eine Reihe von Dokumenten eingereicht, in denen sie seine Unschuld beteuern. Im Rahmen des anstehenden Prozesses planen sie allerdings, nicht nur zu beweisen, dass Sterlingov nie Bitcoin Fog betrieben hat, sondern auch, dass die Blockchain-Analysetechniken, die verwendet wurden, um den Fall gegen ihn aufzubauen, fehlerhaft waren. Bei seiner Verhaftung wurden nämlich keine eindeutigen Beweise gefunden, die ihn direkt mit Bitcoin Fog in Verbindung bringen könnten – weder digital noch physisch. Stattdessen stützt sich die Anklage lediglich auf eine Kombination aus Blockchain-Analyse, IP-Adresszuordnung und ähnlicher Heuristiken. Sterlingov selbst hat seine Unschuld bisher stets beteuert und die Gerechtigkeit des Systems infrage gestellt, das ihn ohne Beweise oder starke Indizien dennoch inhaftiert hat.

Grafische Aufbereitung der Geldflüsse, die mutmaßlich zu Sterlingov führen. Quelle:Gerichtsdokument 189-1

Kritische Punkte und die Rolle von Chainalysis

Der Fall wirft im Grunde mehrere Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Legitimität von Blockchain-Analysetools und die Unterwanderung der Rechtsstaatlichkeit ebendieser. Ist es rechtens und vor allen Dingen zielführend, eine Anklage inklusive Verhaftung lediglich mit der "Schätzung" eines privaten Unternehmens zu rechtfertigen?

Dahingehend ist auch die Rolle von Chainalysis, dem Unternehmen, das die Daten für die Anklage bereitgestellt hat, einer der Hauptkritikpunkte an dem Fall. Die Verteidigung von Sterlingov argumentiert, dass die von Chainalysis verwendeten Methoden fehlerhaft sind und nicht als wissenschaftliche Beweise gelten können.

Chainalysis hat sich bereits seit einigen Jahren als Branchenführer und Quasi-Monopolist in der Verfolgung von Kryptotransaktionen etabliert und bietet seine Dienste sowohl Regierungsbehörden als auch privaten Organisationen an. In diesem Fall wurden die von Chainalysis bereitgestellten Daten als Hauptbeweismittel für die Anklage verwendet. Das wirft ernsthafte ethische und rechtliche Fragen auf. Erstens, die Zuverlässigkeit der Daten: Chainalysis verwendet Algorithmen und Heuristiken, um Transaktionen zu verfolgen, obwohl diese Methoden nicht unfehlbar sind und zu falschen Schlussfolgerungen führen können. Zweitens, die Frage der Verantwortlichkeit: Als privates Unternehmen ist Chainalysis nicht denselben Überprüfungs- und Rechenschaftspflichten unterworfen wie eine öffentliche Institution. Das bedeutet natürlich, dass ihre Methoden und Ergebnisse nicht notwendigerweise einer unabhängigen, wissenschaftlichen Überprüfung standhalten müssen. Drittens, die potenzielle Voreingenommenheit: Da Chainalysis ein gewinnorientiertes Unternehmen ist, könnte es wiederum motiviert sein, Ergebnisse zu liefern, die den Bedürfnissen ihrer Kunden entsprechen, selbst wenn diese Ergebnisse fehlerhaft oder irreführend sind. Diese Faktoren zusammengenommen ergeben ein beunruhigendes Bild der Macht, die ein privates Unternehmen in strafrechtlichen Ermittlungen haben kann, und der potenziellen Gefahren, die damit verbunden sind.

Gutachterin stellt Zuverlässigkeit infrage

Jonelle Still, Direktorin beim Analyseunternehmen Ciphertrace, hat ein Gegengutachten erstellt in dem sie die Zuverlässigkeit und Integrität der Daten und Methoden von Chainalysis infrage stellt. Sie hebt darin hervor, dass die Daten von Chainalysis weder extern noch unabhängig überprüft wurden und keine bekannten Fehlerquoten, Falsch-Positiv-Raten oder Falsch-Negativ-Raten aufweisen. Das Fehlen statistischer Analysen, Modellvalidierungen oder externer Audits macht es schwierig, die Integrität der Daten von Chainalysis zu überprüfen. Still stellt fest, dass die Zuordnungen von Chainalysis "unüberprüfbar" sind und daher nicht in einem Gerichtsverfahren verwendet werden sollten. Sie fordert eine unabhängige Überprüfung der Methoden von Chainalysis, um Fehlurteile und Versäumnisse bei der Einhaltung von Vorschriften zu verhindern.

Die Chainalysis-Daten sollten weder in diesem noch in irgendeinem anderen Fall vor Gericht verwendet werden: Sie wurden nicht geprüft, das Modell wurde nicht validiert, und der Erfassungsweg wurde nicht ermittelt.

Jonelle Still, Gutachterin

Das Gegengutachten stellt auch die Spekulationen der Regierung infrage, insbesondere die Zuordnung von 19 Zwischenadressen zwischen Bitcoin Fog und Sterlingovs ehemaligem Mt. Gox-Konto. Still argumentiert, dass jede Zuordnung von Sterlingov zu diesen 19 Zwischenadressen reine Spekulation ist, für die es keine stützenden Beweise gibt und weist auch auf Diskrepanzen zwischen den Zuordnungen von Ciphertrace und Chainalysis hin, was weitere Fragen zur Zuverlässigkeit der Methoden von Chainalysis aufwirft.

Verschiebung des Prozessbeginns

Heute wurde nun in einer gerichtlichen Anordnung die Verschiebung des Prozessbeginns offiziell bestätigt. Ursprünglich sollte der Prozess nämlich heute, am 14. September 2023 beginnen, das Gericht hat jedoch dem Antrag der Verteidigung auf Verschiebung stattgegeben. Der neue Termin für den Prozessbeginn ist vorläufig auf den 12. Februar 2024 festgelegt, wobei das Gericht den beiden Parteien mitteilte, dass möglicherweise auch ein frührer Termin möglich sein wird. Die Entscheidung wurde damit begründet, Sterlingov mehr Zeit zur Vorbereitung auf den Prozess zu geben und beiden Parteien die Möglichkeit zu bieten, ergänzende Gutachten erstellen zu lassen und auszutauschen.

Petition gestartet

Mittlerweile wurde eine Petition ins Leben gerufen, die den Einsatz von Chainalysis-Diensten durch Bundesbehörden stoppen soll, um das Recht der Menschen auf finanzielle Privatsphäre zu schützen. Veröffentlicht auf Change.org, stellt die Petition die wissenschaftliche Validität der Chainalysis-Software infrage. Die Unterzeichner der Petition fordern, dass Chainalysis nicht mehr von Behörden verwendet wird, bis seine Genauigkeit wissenschaftlich belegt ist. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Nutzung solcher nicht verifizierter Technologien potenziell gegen Datenschutzbestimmungen, den vierten Zusatzartikel der US-Verfassung und das Bankgeheimnisgesetz verstößt.

Wer den Fall und Roman Sterlingov unterstützen möchte, sei gerne dazu aufgefordert, die Petition zu unterzeichnen oder eine Spende zu leisten.