Gestern am frühen Morgen fand das größte Krypto-Event der letzten Jahre statt. Nach jahrelanger Vorbereitung führte Ethereum seinen Merge durch und wechselte von dem Proof-of-Work auf den Proof-of-Stake Konsens-Mechanismus. Während dieses Event in der Ethereum Community gefeiert wurde, gibt es doch einige kritische Stimmen, welche behaupten, dass Ethereum mit diesem Update einen folgenschweren Fehler begangen hat.

Das Energie-Narrativ von Ethereum

Mit der Umstellung auf Proof-of-Stake (PoS) soll der Energieverbrauch des Ethereum-Netzwerkes gesenkt werden. Bei einem PoS-Netzwerk müssen nicht mehr die Miner mit Rechenleistung Blöcke schürfen, sondern die Validatoren des Netzwerkes sind für die Blockerzeugung zuständig.

Aufgrund des Wegfalls des Mining-Prozesses wird der Stromverbrauch von Ethereum angeblich um 99,9% fallen. Diese Zahl wurde in den letzten Wochen häufig von den Medien aufgegriffen. Auch widmete das World Economic Forum dem Thema einen Artikel auf der Startseite, der die Stromverbrauchsreduzierung in einem guten Licht darstellte.

Ethereum wird dabei gerne als ein Beispiel dafür genannt, dass auch ein Wandel von Bitcoin zu einem PoS-Netzwerk möglich sei. Auch Vitalik Buterin bedient sich dem Narrativ des Stromverbrauchs und zitierte heute auf Twitter, dass der Ethereum Merge den weltweiten Stromverbrauch um 0,2% senken wird.

"Der Merge wird den weltweiten Stromverbrauch um 0,2% senken" – Justin Ðrake

Sinkt der Stromverbrauch von Ethereum wirklich?

Mit der aktivierten Difficulty Bomb wird das Mining auf der PoW-Blockchain von Ethereum unmöglich. Die Miner haben zwei Möglichkeiten: Sie können entweder ihren Mining-Betrieb einstellen oder ihre Mining-Leistung einem anderen Netzwerk zur Verfügung stellen. Derzeit passiert aller Anschein nach Letzteres.

Ethereum Classic (ETC) ist das ursprüngliche Ethereum, welches nach dem in 2016 erfolgten DAO-Hardfork entstanden ist. ETC und ETH verwenden die gleiche Mining-Hardware, weshalb es für die ETH-Miner einfach ist, ETC mit ihrer Mining-Ausstattung weiter zu schürfen. Folglich konnte ETC in den letzten 24h einen starken Zuwachs der Hashrate verzeichnen. Gestern lag die Hashrate von ETC noch bei 67 Th/s, während diese dann auf 291 Th/s angestiegen ist.

Die Hashrate von Ethereum Classic. Quelle: 2 Miners

Der Stromverbrauch könnte nicht weniger werden, sondern einfach auch das Netzwerk wechseln. Das Narrativ behält nur begrenzt auf das Netzwerk gesehen seine Gültigkeit. Denn auch wenn das Netzwerk selbst weniger Energie verbraucht, wandern viele Miner zu anderen Netzwerken ab.

Das Proof-of-Work Mining setzt einen Anreiz, den Ausbau von erneuerbaren Energien zu fördern und kann ebenfalls helfen, die Methanbelastung in der Umwelt zu verringern. Ethereum nimmt sich mit der Umstellung auf Proof-of-Stake selbst die Möglichkeit, von den langfristigen positiven Entwicklungen der Mining-Industrie zu profitieren. .

Warum sich Proof-of-Stake zentralisiert

Der Dezentralisierungsgrad von Ethereum wird in der Szene häufig diskutiert. Vor allem der Einfluss durch die Ethereum Foundation wirft die Frage auf, ob das Netzwerk überhaupt als dezentral bezeichnet werden kann. Die Umstellung auf Proof-of-Stake könnte ein weiterer Schritt in Richtung Zentralisierung sein.

Ein Grund liegt in den Skaleneffekten von Proof-of-Stake Netzwerken. Die Validatoren müssen deutlich geringeren Energieaufwand erbringen, um einen gültigen Block zu produzieren. Auch die GPU-Miner werden beim Ethereum Netzwerk überflüssig. Dies führt dazu, dass die Anforderungen für die benötigte Hardware stark abfällt. Ein zentralisierter Dienstleister könnte in einem einzigen Rechenzentrum das gesamte Netzwerk betreiben. Bitcoin-Miner müssen sich dagegen geografisch ausdehnen.

Die Validatoren erschließen immer mehr Skaleneffekte und das Kapital des Netzwerkes zentralisiert sich. Für das Betreiben einer Validator-Node, werden 32 Ethereum benötigt. Bei einem Kurs von 1.600 US-Dollar kostet damit das Betreiben einer Validator-Node 51.200 US-Dollar. Bei einem steigenden Ethereum Preis erhöht sich somit auch der Preis für das Betreiben einer solchen Validator-Node.

Solche Kapitalsummen sind für die meisten Einzelinvestoren nicht aufbringbar, weshalb sich diese zu Staking-Pools zusammenschließen. Die Staking-Pools von PoS-Netzwerken sind nur begrenzt mit den Mining-Pools von Bitcoin vergleichbar. Dazu in einem späteren Abschnitt mehr.

Das Betreiben einer Validator-Node ist technisch aufwendig und kompliziert. Zentralisierte Handelsbörsen bieten deshalb Staking-Pools an, in denen kleinere Investoren ihre Ethereum staken können. Dieses Konzept hat für beide Seiten Vorteile. Die Nutzer müssen sich nicht um die technische Umsetzung des Stakings kümmern und die Handelsbörsen können die hinterlegten Ethereum für weitere Finanzdienstleistungen wie das Verleihen von Krediten verwenden.

Natürlich besitzt jeder Netzwerkteilnehmer die Möglichkeit, selbst eine Validator-Node zu betreiben und ist damit nicht auf zentralisierte Dienstleister angewiesen. Die Bequemlichkeit ist aber bei jedem Finanzprodukt entscheidend. Dies ist auch der Grund, weshalb die Nachfrage nach einem Spot Bitcoin ETF in den USA so hoch ist. Viele Investoren wollen ihre Bitcoin nicht selbst verwahren, sondern die Verantwortung an einen Drittanbieter abgeben und bequem über ihren Broker am Bitcoin-Kurs partizipieren. Die Einfachheit ist für die Investoren entscheidend. Dies gilt auch für die Staking Pools von Ethereum. Auch hier wollen die Investoren die Staking-Rendite mit möglichst wenig Aufwand generieren.

Der Zustand der Proof-of-Stake Pools von Ethereum

Die Einfachheit, die Aufgabe des Stakings an einen externen Dienstleister auszulagern, macht sich bei der Pool-Verteilung von Ethereum bemerkbar. Die Beacon Chain von Ethereum operiert bereits seit Ende des Jahres 2020 und verwendete seitdem den Proof-of-Stake Konsensmechanismus. Anhand der Beacon Chain konnte die Zentralisierung der Pools beobachtet werden.

Derzeit sind 13,2 Millionen Ethereum in den Staking-Pools hinterlegt. 9,1 Millionen Ethereum der 13,2 Millionen verteilen sich auf 11 Anbieter. Der größte Staking Pool Lido verwaltet 3,15 Millionen Ethereum und damit 31,6% des Staking Bestandes von Ethereum. Danach folgen die US-regulierten Handelsbörsen Kraken, Coinbase und Binance. Zusammen mit Lido verwalten diese Entitäten 60,2% des Staking Bestandes von Ethereum.

Zusätzlich besitzen die Staking Pools noch keine Unstaking-Funktion. Diese soll in den nächsten 6 Monaten implementiert werden. Nutzer können lediglich mit Lido auf dezentrale Handelsbörsen ihre stETH Tokens gegen ETH umtauschen. Die fehlende Unstaking-Funktion kann zu einer noch größeren Zentralisierung der Staking-Pools führen.

Ab einer Netzwerkleistung zwischen 67%-68% wird bei Ethereum davon ausgegangen, dass das PoS-Netzwerk seine zensurresistente Eigenschaft verliert. Zwar gibt es mit dem Slashing eine Möglichkeit der Zensur zu umgehen, allerdings ist dieser Mechanismus bei größeren zentralisierten Anbieter nur schwer durchzusetzen. Dazu später mehr.

Die Verteilung der Staking-Anbieter. Quelle: Glassnode

PoS vs. PoW Pools

Die Staking-Pools von PoS-Netzwerken sind nicht mit den Mining-Pools von Bitcoin vergleichbar. Dies hat mehrere Gründe, welche oft von der Ethereum-Community vernachlässigt werden.

Zunächst sind die Mining-Pools lediglich Node-Services, welche die Hashrate der Miner innerhalb des Pools verwalten. Die Miner können in Sekundenschnelle den Node-Service wechseln und einem anderen Mining-Pool beitreten. Ein Beispiel dafür ist der Poolin Mining-Pool, welcher letzte Woche die Auszahlungen aufgrund von Liquiditätsengpässen gestoppt hat. Die Miner wechselten den Mining-Pool und innerhalb von 24 Stunden sank der Marktanteil von Poolin von 10% auf 5%.

Die Verteilung der Mining-Pools von Bitcoin. Quelle: BTC.com

Der Wechsel von Staking-Pools ist aufwendiger. Vor allem zentralisierte Handelsbörsen können jederzeit den Kunden den Zugriff auf die hinterlegten Ethereum verwehren ("Not your keys, not your coins"). Hinzu kommt, dass viele Handelsbörsen die hinterlegten Ethereum für Kredite weiterverwenden. Die Kredite müssen zunächst zurückgezahlt werden, damit die Nutzer ihren Staking-Bestand wieder erhalten. Benutzer von Staking-Pools benötigen eine Erlaubnis, den Pool verlassen zu dürfen, Bitcoin-Miner dagegen nicht.

Ein weiterer Unterschied ist, dass die ASIC-Geräte nicht von den Mining-Pools, sondern von den Minern selbst gehostet werden. Mining-Pools sind lediglich Node-Dienstleister. Die Staking Pools verwalten dagegen die Nodes, welche zugleich die Validatoren des Netzwerkes sind.

Dieser Unterschied ist besonders wichtig bei einem Angriff nationaler Tragweite auf die Netzwerke. Bitcoin-Miner sind nicht an einen Mining-Pool gebunden und können ihr Mining-Geschäft in ein anderes Land verlegen. Genau dies konnte beim Bitcoin-Mining Ban in China beobachtet werden. Obwohl 50% der Hashrate verschwand, operierte das Bitcoin-Netzwerk wie gewohnt weiter.

Binance, Coinbase und Kraken sind dagegen Unternehmen, welche amerikanischen Regularien unterliegen und damit verpflichtet sind, die Entscheidungen der amerikanischen Gesetzgebung umzusetzen. Nutzer, die einen zentralisierten Staking-Anbieter benutzen, wären damit direkt von den Sanktionen der US-Regierung betroffen.

Tornado Cash als warnendes Beispiel

Tornado Cash ist ein warnendes Beispiel dafür, dass Ethereum-Anwendungen nicht zwingend zensurresistent sind. Am 8. August setzte das Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums den Mixer-Dienst Tornado Cash auf die schwarze Liste. Die nordamerikanische Hackergruppe Lazarus verwendete Tornado Cash, um die Herkunft der gestohlenen Kryptowährungen zu verschleiern.

Hier kommt das Problem der Node-Zentralisierung von Ethereum zu tragen. Nur das Unternehmen Infura verwaltet 5-10% aller Ethereum Nodes. Infura setzte nur einen Tag später die Sanktionen der US-Regierung um und blockierte alle Transaktionen von Nodes, welche mit Tornado Cash in Verbindung standen. Auch Metamask folgte den Beschlüssen des Finanzministeriums.

Weitere Anwendungen wie Uniswap, Aave oder Maker blockierten über das Front-End den Zugang. Nutzer konnten zwar noch ihre eigenen Smart Contracts erstellen und so über das Back-End die Zensur umgehen, aber nur ein geringer Teil der Nutzer dürfte in der Lage sein, einen eigenen Smart Contract zu programmieren.

Ebenso wurde der Discord Server und das Github Repository der Tornado Cash Entwickler gelöscht. Höhepunkt war dann die Festnahme eines Tornado-Cash Entwicklers in den Niederlanden. Innerhalb von nur einer Woche wurde klar, wie anfällig Projekte mit einem Single Point of Failure sind, obwohl jedes dieser Projekte als dezentral galt.

Für Ethereum hätte dies ein Weckruf sein müssen. Die Sanktionen des Finanzministeriums haben gezeigt, dass zentralisierte Entitäten die Sanktionen der Regierung umsetzen müssen. Ein großer Angriffsvektor für Ethereum 2.0 sind die zentralisierten Validatoren der Handelsplattformen, welche sich an das amerikanische Recht halten müssen und damit die Transaktionen einzelner Netzwerkteilnehmer zensieren können. Brian Armstrong, CEO von Coinbase bestätigte, dass sich sein Unternehmen immer an das amerikanische Recht halten wird:

„Die Sanktionierung einer Technologie (im Gegensatz zu einer Einzelperson oder einem Unternehmen) erscheint mir wie ein schlechter Präzedenzfall und sollte wahrscheinlich angefochten werden. Der Fall könnte viele unbeabsichtigte Folgen besitzen.

Hoffentlich ein offensichtlicher Punkt: Wir werden uns immer an das Gesetz halten.

Brian Armstrong

Ist das Slashing die Lösung?

Die Ethereum Community ist sich dieser Problematik der Staking-Pools nur teilweise bewusst. Der Tornado Cash Vorfall wäre ein Signal gewesen, den Merge zumindest zu verschieben, bis das Zentralisierungsproblem der Staking-Pools gelöst ist.

Für einen erfolgreichen Angriff auf das Ethereum PoS-Netzwerk benötigt der Angreifer 66% der Validatoren. Für diesen Fall hat Ethereum einen Mechanismus namens Slashing implementiert. Beim Slashing können unehrliche Validatoren bestraft werden, indem diese ihre Blockbelohnung verlieren. Auch zentralisierte Dienstleister der Staking-Pools könnten geslashed werden.

Sollte es zu einem Angriff auf die Staking-Pools kommen, könnten die Handelsbörsen vom Ethereum Netzwerk geslashed und damit das Netzwerk vor der Zensur gerettet werden. Aber diese Aktion müsste bei einem Angriff nationaler Tragweite koordiniert werden. Vermutlich wäre die Ethereum Foundation die treibende Kraft für die Koordinierung.

Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dies wirklich umsetzbar wäre. Beim Slashing droht die Gefahr, dass die Nutzer der zentralisierten Anbieter ihren Staking-Bestand verlieren und damit den finanziellen Schaden tragen müssen. Auch die Second-Layer und Sidechain-Applikationen von Ethereum wären davon betroffen. Hinzu kommt die Rolle der Ethereum Foundation. Die US-Regierung würde es vermutlich nicht zulassen, dass die Foundation das Slashing auf die Handelsbörsen koordiniert, sondern würde gegen die Foundation ebenso vorgehen. Eine Möglichkeit dieses Vorgehen zu begründen, wäre zum Schutz der Investoren, denn diese müssten schließlich den finanziellen Schaden des Slashings tragen.

Fazit

Die mediale Darstellung, dass Ethereum seinen Stromverbrauch um 99,9% senken kann, ist nicht ganz zutreffend und problematisch, da dieses Narrativ trotz anderer Probleme aufgegriffen wird, um gegen Bitcoin zu argumentieren, ohne dabei auf die Trade-offs einzugehen. Das Problem der zentralisierten Staking-Pools und der resultierenden Zensurgefahr ist nicht gelöst. Mit dem Hype um den Merge und mit Hilfe des Umwelt-Narratives kann es zu weiteren Preissteigerungen von Ethereum kommen. Jeder Investor sollte sich aber bewusst machen, was der Merge für die langfristige Zensurresistenz des Netzwerkes bedeuten kann. Tornado Cash wäre der Weckruf gewesen, der aber ignoriert wurde. Auch der regulatorische Status von Ethereum ist weiterhin unklar. Gestern erklärte Gary Gensler, der Vorsitzende der amerikanischen Börsenaufsicht, dass Ethereum mit den Staking-Belohnungen unter die Wertpapiergesetze fallen könnte. Vermutlich war der Hype um Ethereum 2.0 einfach schon zu groß und der Merge konnte nicht mehr verschoben werden. Nun ist Ethereum 2.0 mit seinen ungelösten Problemen da.