Das "Special Issue: The Bitcoin Challenge" - Ein tieferer Blick

Die Debatte um Bitcoin und seine Auswirkungen auf die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hat in den letzten Jahren an Intensität und Bedeutung gewonnen. In diesem Zusammenhang hat das renommierte wissenschaftliche Magazin "Challenges" ein besonderes Themenheft mit dem Titel "The Bitcoin Challenge: Building the Evidence Base to Support Credible Environmental, Economic and Social Decision Making" ins Leben gerufen. Unter der Leitung des Wirtschaftsforschers und Umwelt-Ökonomen Dr. Murray A. Rudd zielt dieses Themenheft darauf ab, Beiträge von Forschern aus verschiedenen Disziplinen zu sammeln, um eine fundierte Evidenzbasis über die technischen, wirtschaftlichen, sozialen, governance-bezogenen und ökologischen Auswirkungen von Bitcoin zu schaffen. Es geht darum, sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte von Bitcoin zu beleuchten und so zu einer ausgewogenen und informierten Debatte beizutragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

obwohl Bitcoin in der Vergangenheit oft kritisiert wurde, ist es eine technologische/finanzielle Innovation, die das Potenzial hat, transformative ökologische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen voranzutreiben. Zu den potenziell wichtigen Faktoren gehören unter anderem die Fähigkeit von Bitcoin, Methanemissionen an der Quelle zu reduzieren und Investitionen in erneuerbare Energien und Elektrifizierungsinfrastrukturen zu katalysieren; [...]

In dieser Sonderausgabe begrüßen wir deshalb Beiträge von Forschern auf beiden Seiten der Bitcoin-Debatte, von Forschern verschiedener Disziplinen und von nicht-akademischen Fachleuten.

Auszug aus dem Einleitungstext von Dr. Rudd

Bitcoin-Mining: Ein Umweltfeind?

Ein Paper, das im Kontext der Challenges-Sonderausgabe publiziert wurde, ist eine Studie der Forscher Alexander Freier und Juan Ignacio Ibañez, welche eine frische Perspektive auf die Beziehung zwischen Bitcoin-Mining und der Dekarbonisierung des Energienetzes liefert. Sie trägt den Titel "Bitcoins CO₂-Fußabdruck neu betrachtet: Proof of Work Mining für den Ausbau erneuerbarer Energien", der bereits größtenteils verrät, worum es in dem Paper geht.

Die beiden Autoren stellen fest, dass Bitcoin seit seiner Einführung sowohl Lob als auch Kritik erhalten hat. Während Befürworter meist die Vorteile eines freien und dezentralen Geldes hervorheben, sind Kritiker schnell dabei, auf den enormen Energieverbrauch des Bitcoin-Minings hinzuweisen. Dieser Energieverbrauch hat zu Bedenken hinsichtlich der Treibhausgasemissionen und der damit verbundenen Umweltauswirkungen geführt und wird auch heute noch oft in diversen Medien thematisiert. Bitcoin wird in diesem Zusammenhang oftmals als Umweltfeind und "Klimakiller" dargestellt. Doch ist dem wirklich so?

Eine neue Perspektive

Die Studie bietet jedoch eine frische Sichtweise auf dieses Problem. Anstatt sich nur auf den Energieverbrauch zu konzentrieren, untersucht die Studie, wie Bitcoin-Mining zur Netto-Dekarbonisierung des Energienetzes beitragen könnte. Durch die Betrachtung des flexiblen Lastausgleichs durch Proof-of-Work-Mining könnte Bitcoin-Mining tatsächlich zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien im Netz beitragen.

Freier und Ibañez zeigen, dass, wenn bestimmte Anpassungen im Mining-Prozess vorgenommen werden, das auf erneuerbaren Energien basierende Mining eine CO₂-reduzierende Wirkung auf Energienetze haben könnte. Dies stellt die bisherige Annahme der "Mainstream"-Welt infrage, dass Bitcoin-Mining zwangsläufig umweltschädlich ist. Viele Bitcoiner versuchen bereits seit einiger Zeit aufzuzeigen, dass ein Schwarz-Weiß-Denken in dieser Thematik fehl am Platz ist und Bitcoin auch Chancen und Möglichkeiten liefert.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass auf erneuerbaren Energien basierendes Mining potenziell einen Netto-Dekarbonisierungseffekt auf die Energienetze haben könnte, obwohl wichtige Anpassungen der Mining-Praktiken erforderlich sind, um dieses Potenzial voll auszuschöpfen.

Freier und Ibañez 

Der Weg nach vorn

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass es an der Zeit ist, die Umweltauswirkungen des Bitcoin-Minings neu zu bewerten. Anstatt es als reinen Umweltfeind zu betrachten, sollte man beginnen, es als potenziellen Verbündeten bei der Erweiterung erneuerbarer Energien und der allgemeinen CO₂-Reduzierung zu sehen.

Insgesamt schlägt das Paper eine Neubewertung der Umweltauswirkungen des Bitcoin-Minings vor und hebt seine potenzielle Rolle als Förderer des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Dekarbonisierung im weiteren Sinne hervor.

Zitat aus dem Abstract des Papers

Während definitiv weitere Forschungen in diesem Bereich erforderlich sind, bietet diese Studie sicherlich vielversprechende Einblicke in die Zukunft von Bitcoin und erneuerbaren Energien. Wie lange es noch dauern wird, bis diese Erkenntnis auch in Politik und Industrie ankommt, ist leider schwierig zu sagen.

Eine Welt voller Überraschungen

In einem weiteren Beitrag des "Special Issue The Bitcoin Challenge" mit dem Titel "Bitcoin Is Full of Surprises" untersucht Dr. Murray A. Rudd, wie Bitcoin die Welt in vielerlei Hinsicht überraschen könnte, insbesondere aus einer progressiven Perspektive.

Ein progressives Verständnis von Bitcoin

Rudd betont, dass Bitcoin oft von "progressiven, linksorientierten Personen" aufgrund seines hohen Energieverbrauchs und der damit verbundenen CO₂-Emissionen kritisiert wird. Trotzdem könnte Bitcoin das Potenzial haben, Methanemissionen zu reduzieren, die Elektrifizierung der Wirtschaft zu beschleunigen, Armut zu lindern und Menschenrechte zu stärken. Diese Behauptungen basieren jedoch größtenteils auf anekdotischen Indizien und nicht auf festen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie er feststellt.

Eine schnell wachsende Zahl von anekdotischen Indizien deutet darauf hin, dass die Einführung von Bitcoin wichtige Ziele für Progressive beeinflussen kann, wie z.B. die Verringerung von Treibhausgasemissionen, die Beschleunigung der Elektrifizierung von Volkswirtschaften, die Linderung von Armut und die Unterstützung von Menschenrechten für Menschen, die unter politischer Unterdrückung leben, auch wenn die wissenschaftliche Bestätigung noch auf sich warten lässt.

In diesem Beitrag zeige ich auf, wie eine pragmatische Perspektive auf Bitcoin angewandt werden kann, eine technologische und finanzielle Innovation, die die Art und Weise, wie Menschen Geld wahrnehmen und nutzen, Wohlstand bewahren und die Regierungsführung strukturieren, verändern könnte.

Dr. Murray A. Rudd

Pragmatismus und Bitcoin

Rudd führt den Pragmatismus als Philosophie ein, welche die zentrale Rolle der Erfahrung bei der Schaffung von Wissen, der Produktion von Glauben und der Anregung von Handlungen betont. Er argumentiert, dass ein pragmatischer Ansatz dazu beitragen kann, die potenziellen Auswirkungen von Bitcoin auf die Gesellschaft zu verstehen und zu bewerten.

Wenn man Bitcoin durch die Linse des Pragmatismus betrachtet, sollte man nicht nur fragen, was Bitcoin ist oder wie es funktioniert, sondern auch, welche praktischen Auswirkungen es hat und wie es zur Lösung realer Probleme beitragen kann. Rudd argumentiert, dass, obwohl Bitcoin oft kritisiert wird, es tatsächlich das Potenzial hat, reale und dringende Probleme wie den Klimawandel, Armut und Menschenrechtsverletzungen anzugehen.

Dr. Rudds pragmatischer Ansatz betont, dass die Bewertung von Bitcoin nicht nur auf seinem Energieverbrauch oder seiner technischen Funktionsweise basieren sollte, sondern auf den realen Auswirkungen und Vorteilen, die es bieten kann. Dies könnte bedeuten, dass Bitcoin, trotz seiner Energieintensität, transformative Möglichkeiten in wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereichen bietet.

Wird Bitcoin linksorientierte Progressive überraschen, denen die Umwelt, die Armutsbekämpfung, die Inklusion, die Freiheit von Unterdrückung und eine sinnvolle Beteiligung an den Debatten, die es Demokratien ermöglichen, ihr volles Potenzial zu entfalten, am Herzen liegen?

Die radikale technologische und finanzielle Innovation von Bitcoin braucht Zeit, um sie zu verstehen, und ihre sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und Governance-Implikationen können zunächst kontraintuitiv sein. Intelligente Untersuchungen sind erforderlich. Empirie ist zentral für Pragmatiker, die in die Zukunft blicken und Entscheidungen darüber treffen, wie sie sich ihren Vorstellungen nähern können, indem sie Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, die auf einer Grundlage von glaubwürdigen und vertretbaren Beweisen basieren.

Dr. Murray A. Rudd

Überraschende Auswirkungen von Bitcoin

Einige der "überraschenden" Erkenntnisse, die Rudd in seinem Beitrag hervorhebt, sind insbesondere:

  1. Klimawandelbekämpfung: Trotz seines hohen Energieverbrauchs könnte Bitcoin ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels sein, indem es dazu beiträgt, die globalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
  2. Förderung erneuerbarer Energien: Das Mining von Bitcoin könnte die finanzielle Rentabilität neuer erneuerbarer Energieinfrastrukturen erhöhen und so die Elektrifizierung der Wirtschaft beschleunigen.
  3. Unterstützung von Menschenrechten: Bitcoin könnte dazu beitragen, Armut zu lindern und die Menschenrechte zu stärken, insbesondere für gefährdete Individuen und Gemeinschaften, die unter politischer Repression leiden.

Für viele die Bitcoin und seine Facetten bereits seit Längerem intensiv studieren, dürften diese Erkenntnisse natürlich nicht wirklich überraschend sein. Sein Ansatz, die Kritiker dazu zu bewegen, pragmatischer zu denken und hinter Bitcoins metaphorischen Vorhang zu blicken, ist definitiv vielversprechend.

Fazit

Die beiden bisher für die Sonderausgabe veröffentlichten Beiträge zeigen, dass es an der Zeit ist, die gängigen Narrative über Bitcoin zu hinterfragen und die potenziellen positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft zu erkennen. Beide Paper betonen die Notwendigkeit weiterer Forschung und einer ausgewogenen Debatte, um die wahren Auswirkungen von Bitcoin auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Gesellschaft zu verstehen. Während von Bitcoiner-Befürwortern, aber auch den -Kritikern seit Jahren mit Behauptungen und Indizien um sich geworfen wird, ist es nun an der Zeit endlich evidenzbasierte wissenschaftliche Erkenntnisse einzuholen respektive zu erarbeiten. Es ist klar, dass Bitcoin mehr ist als nur eine digitale Währung für Internet-Nerds; es hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir über Energie, Umwelt und soziale Gerechtigkeit denken, grundlegend zu verändern.