Das Buch "Softwar" von Jason P. Lowery hat in den letzten Wochen große Wellen geschlagen. Der überzeugte Bitcoiner mit US Space Force Hintergrund hat es sich vorgenommen, der Öffentlichkeit einen neuen Blickwinkel auf Bitcoin zu eröffnen. Primär ist das Buch jedoch an US-Präsident Joe Biden und an US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III. gerichtet.

"Softwar" ist eine als Buch veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit, die knapp 400 DIN A4 ähnlich große Seiten umfasst. Die Unterüberschrift des Buches lautet ins Deutsche übersetzt "Eine neuartige Theorie zur Machtprojektion und zur nationalen strategischen Signifikanz von Bitcoin". Entsprechend erklärt Lowery von Grund auf, welche Rolle physische Machtprojektion in der Weltgeschichte gespielt hat, wieso Bitcoin die erste Form der physischen Machtprojektion im Cyberspace ist und welche Implikationen sich daraus ergeben.

Das Buch ist seit rund drei Monaten auf Platz eins der amerikanischen Amazon-Bestsellerliste in der Kategorie "Bücher über digitale Währungen".

Der Autor

Jason P. Lowery arbeitet seit 3,5 Jahren als leitender Technologie- und Innovationsbeauftragter bei der US Space Force und hat mitunter am MIT (Massachusetts Institute of Technology) studiert. In der Bitcoin-Community hat Lowery sich dardurch einen Namen gemacht, dass er Bitcoin aus einer besonderen Perspektive betrachtet - nämlich nicht primär als ein Geld. Aufgrund seines beruflichen Hintergrunds werden einige Personen Lowerys Theorien umso mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben.

In einem Interview mit dem bekannten Bitcoin-Befürworter Anthony Pompliano beschrieb Lowery Ende 2021 Bitcoin als eine Art Waffensystem. Im Anschluss an das erfolgreiche Interview wurde Lowery zu weiteren Formaten eingeladen. Mitunter sprach er mit Cypherpunk Adam Back in der What is Money Show von Robert Breedlove tiefergehend über den Proof-of-Work-Konsensusmechanismus, auf dem das Bitcoin-Netzwerk basiert.

Mittlerweile hat Lowery über 100.000 Follower auf Twitter und Leute wie MicroStrategy-Gründer Michael Saylor bedienen sich seinen Ausführungen. Dass Lowery für so viel Aufsehen sorgen konnte, liegt neben seinen heiß diskutierten Theorien auch an seiner Marketing-Strategie. Beispielsweise blockte Lowery Leute auf Twitter, die Kritik an ihm geliket oder retweetet haben. Das führte dazu, dass diese Leute sich öffentlichkeitswirksam darüber beschwerten, sodass Lowery noch mehr zum Gesprächsthema wurde. Mit dieser Strategie wollte Lowery jedoch auch beweisen, wie ausnutzbar Software ist - ein zentraler Punkt, den er in seinem Buch macht.

Softwar - Machtprojektion als sanfte Kriegsführung

Lowery erklärt ausführlich, wieso physische Machtprojektion eine zentrale Rolle für alles Leben auf diesem Planeten gespielt hat. Nicht nur im Kampf von Spezies gegen Spezies, sondern auch innerhalb einer Spezies. Ein physischer Machtkampf innerhalb einer Spezies ist von Vorteil, da so herausgefunden werden kann, wer der Stärkste ist und im Zweifel zuerst gefüttert werden muss, um das Überleben der Spezies zu sichern. Der physischen Machtprojektion kann man sich auch nicht entziehen, sondern nur Wege finden, wie man sich trotz dieser innerhalb einer Spezies nicht verletzt oder sogar umbringt. Hirsche haben beispielsweise dafür im Laufe der Evolution Geweihe entwickelt, mit denen sie gegeneinander kämpfen. Lowery argumentiert, dass Bitcoin die Hirschgeweih-Technologie der Menschheit sein kann.

Die Menschen haben sich nämlich bisher nur mit suboptimalen Lösungen helfen können. Das sind, so Lowery, abstrakte Machthierarchien (etwa Staaten), die wir uns einfallen lassen haben, damit wir bestimmen können, wem, was gehört, ohne uns dafür direkt die Köpfe einschlagen zu müssen.

"Die menschliche Zivilisation setzt zwei Arten von Machtprojektionstaktiken ein, um ihre Besitzstreitigkeiten beizulegen und ihre Dominanzhierarchien zu etablieren: physische Macht und abstrakte Macht. Die Projektion physischer Macht ist das, was wir Krieg nennen. Die Projektion abstrakter Macht ist das, was wir Regeln nennen."

- Jason P. Lowery

Das Problem bei abstrakter Macht ist, dass immer die Gefahr der Ausnutzung dieser besteht. Das, was eine bestimmte abstrakte Machthierarchie davon abgehalten hat, sich über die gesamte Welt auszubreiten, ist laut Lowery der Krieg, also physische Machtprojektion.

"Wie auch immer es genannt wird - Krieg oder Revolution - physische Macht erweist sich immer wieder als wirksames Mittel, um die Zentralisierung der Kontrolle und die Ausweitung der abstrakten Macht zu verhindern."

- Jason P. Lowery

Da die Menschen aber nach Effizienz streben und sich weiterentwickeln, wurden diese Kriegstechnologien immer zerstörerischer. Nun sind wir an einem Punkt angekommen, an dem ein Krieg zwischen zwei Nationen mit Atombomben keine wirkliche Option darstellt, da aus diesem niemand als Sieger hervorgehen würde. Eine Lösung wäre auch nicht auf andere Kriegstechnologien zurückzugreifen, weil wir diese ebenso effizienter respektive zerstörerischer machen würden und letztlich mit KI-Killer-Drohnen bei dem gleichen Dilemma landen. Dieses "kinetische Macht-Paradoxon" ist insofern ein Problem, als dieser Zustand die abstrakten Machthierarchien umso ausbeutender macht, da die physische Machtprojektion auf kinetischer Ebene, die das eingrenzen könnte, entfällt.

Bitcoin kann hierfür die Lösung sein, da es eine Form der physischen Machtprojektion auf elektrischer Ebene darstellt, bei der weiterer Effizienzgewinn nicht zur Zerstörung führt.

Lowery argumentiert auch, dass die Funktionsstörungen abstrakter Machthierarchien das sind, was letztlich zu Krieg führt.

"Sobald wir verstehen, wie und warum imaginäre Macht und reale Macht unterschiedliche Verhaltensweisen hervorbringen, können wir verstehen, warum abstrakte Machthierarchien so viele Fehlfunktionen aufweisen, die zu Krieg führen."

- Jason P. Lowery

Laut Lowery wären trotz einer hinreichenden Bitcoin-Adoption und dem Nutzen des Netzwerks als Kriegstechnologie Kriege, so wie wir sie bisher kannten, möglich.

"Natürlich gäbe es immer noch einen harten Krieg, aber vielleicht nur, um kleinere taktische Streitigkeiten zu schlichten oder um das kinetische Macht-Paradoxon zu bewahren [...]."

- Jason P. Lowery

Proof-of-Stake und Software

Lowery stellt auch heraus, dass Software ebenfalls nur ein abstraktes Glaubenssystem ist, das, da es keinen physischen Anker hat, ebenso vulnerabel für Ausbeutung und Attacken ist. Das Bitcoin-Netzwerk hat jedoch diesen Anker und macht Angriffe jedweder Art ungemein kostspielig. Bitcoin ist letztlich ein Cybersecurity-Netzwerk, mit dem nicht nur finanzielle Daten geschützt werden können. Laut Lowery wäre es nur logisch, dass die Menschen auf dem Bitcoin-Netzwerk ein neues Internet aufbauen werden, indem Attacken und Ausbeutung unrentabel sind. Lowery erklärt, dass das Bitcoin-Netzwerk den Planeten selbst in einer Art Computer-Fundament verwandelt.

Einige Seiten widmet Lowery auch den Problemen von Proof-of-Stake. Er stellt heraus, dass Ethereum letztlich nur ein nicht-dezentrales abstraktes Glaubenssystem und somit etwas grundlegend anderes als Bitcoin ist.

"Durch den Wechsel von einem Proof-of-Work-Sicherheitssystem (a.k.a. Proof-of-Real-Power) zu einem Proof-of-Stake-Sicherheitssystem (a.k.a. Proof-of-Imaginary-Power) ist es nicht nur physisch unmöglich geworden zu überprüfen, ob Ethereum ein dezentralisiertes System ist, sondern es wurde auch eine andere Art von Software-definierter, auf abstrakter Macht basierender Ressourcen-Kontrollhierarchie geschaffen, die einer anonymen Gruppe von Personen, die die Mehrheit der Stakes kontrolliert, außerordentliche asymmetrische abstrakte Macht und Kontrollbefugnisse verleiht."

- Jason P. Lowery

Fazit

Das Buch "Softwar" ist voller interessanter Anekdoten. Beispielsweise dass Schwarzpulver viele Jahre als Medizin verwendet wurde, bevor die Menschen entdeckten, dass es ein Explosivstoff ist, mit dem Kanonen abgefeuert werden können. Ebenso könnte Bitcoin eine Kriegstechnologie darstellen, die zu Beginn nicht als diese wahrgenommen wurde. Sich mit Lowerys Theorien auseinanderzusetzen, kann Bitcoin-Interessierten durchaus einen neuen erkenntnisreichen Blickwinkel auf Bitcoin eröffnen.

Der Großteil des Buches dreht sich, wie auch das Buch "Der Bitcoin Standard" von Saifedean Ammous, gar nicht um Bitcoin per se. Entsprechend gibt es auch für fortgeschrittene Bitcoiner einiges zu lernen. Beispielsweise über Evolution oder über Kriegstechnologien.

Eine gute Einsteigerlektüre für Menschen, die Bitcoin verstehen möchten, ist "Softwar" jedoch nicht. Bitcoin an sich wird nämlich kaum erklärt. Und wer gehofft hat, eine Beschreibung geliefert zu bekommen, wie genau eine physische Machtprojektion durch Bitcoin tatsächlich aussehen könnte, der wird enttäuscht.

Da "Softwar" letztlich eine wissenschaftliche Arbeit ist, ist das Buch auch recht umständlich geschrieben. Lowery bedient sich einiger Fachwörter und langer verschachtelter Sätze. Zudem werden einige Punkte ungewöhnlich häufig wiederholt.

Wer der englischen Sprache mächtig ist und sich ungefähr 25 Stunden Lesezeit nehmen kann, dem sei das Buch empfohlen. Derzeit ist "Softwar" als Taschenbuch für grob 40 Euro auf Amazon erhältlich. Lowery kündigte jedoch bereits an, dass das MIT eine kostenlose elektronische Version zwischen Juli und September dieses Jahres veröffentlichen wird.

Eine deutsche Version des Buches gibt es bisher noch nicht, obwohl sich um die Erlaubnis für eine Übersetzung durch Aprycot Media bemüht wird.

Ob "Softwar" die USA oder andere Staaten dazu bewegen wird, Bitcoin als Internetsicherheits- und Kriegstechnologie zu adoptieren, wie Lowery es vorschlägt, bleibt abzuwarten.