Vermögenswerte wie Aktien und Bitcoin haben in den letzten Wochen und Monaten ordentliche Kurszuwächse verzeichnen können. Ein Faktor dabei war die Aussicht auf baldige Zinssenkungen der US-Notenbank. Jetzt, wo die Märkte immer heißer laufen, melden sich renommierte Analysten zu Wort und mahnen zur Vorsicht.

So etwa Marko Kolanovíc, der bekannte Analyst von JP Morgan. Er geht davon aus, dass insbesondere die Bitcoin-Rally der Federal Reserve hier einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Kolanovíc erklärt, dass bei hohen Bitcoin-Kursen zu früh gesenkte Zinsen eine neue Inflationswelle anfachen können. Entsprechend geht er davon aus, dass die Zinsen länger auf einem hohen Niveau bleiben werden – auch wegen Bitcoin. Der oft pessimistische Analyst warnt zudem, dass das den Markt auf dem falschen Fuß erwischen könnte.

Das derzeitige Umfeld macht uns anfällig für einen Unfall.
Marko Kolanovíc

Zinsen und die Preise von Vermögenswerten

Generell fachen niedrigere Zinsen den Preis von Vermögenswerten an. Zum einen, weil sich günstiger Geld für Investitionen beschaffen lässt und zum anderen, weil dadurch die Anlage in festverzinsliche Wertpapiere weniger attraktiv wird und Anleiheinvestoren entsprechend umschichten. Bei Zinssenkungen wandern Investoren demzufolge weiter auf der Kurve in Richtung Risiko und kaufen vermehrt spekulative Assets.

Genau dieses Muster konnten wir erleben, als in Reaktion auf die Corona-Lockdowns die westlichen Zentralbanken die Zinsen auf nahe null senkten. Hochspekulative Technologieunternehmen oder auch nutzlose Kryptowährungen vervielfachten sich im Kurs. Die Menschen zockten auf Aktien wie GameStop oder kauften NFTs, die sich im Nachhinein als quasi wertlos entpuppten.

Da bei niedrigeren Zinsen generell mehr Kredite genommen werden, die in einem Fiatgeldsystem die umlaufende Geldmenge erhöhen, steigen in der Regel auf kurz oder lang auch die Konsumgüterpreise. Die Inflation wird zudem dadurch angefacht, dass Zentralbanken meist gleichzeitig den Markt stimulieren, in dem sie zusätzlich mit neu geschaffenem Geld Wertpapiere kaufen, mit denen sie auch indirekt die Ausgaben des Staates finanzieren.

Doch hohe Zinsen bedeuten nicht zwangsläufig, dass Märkte schlecht laufen müssen. In dem Zeitraum von 2016 bis 2017 hat die US-Notenbank zum Beispiel die Zinsen angehoben und sowohl der US-amerikanische Aktienmarkt als auch Bitcoin konnten währenddessen ordentlich zulegen.

Im Jahr 2019 gab es wie auch dieses Mal eine starke Bitcoin-Rally bereits vor dem Halving – und das während die Zinsen ebenfalls auf einem verhältnismäßig hohen Niveau verharrten. Bitcoin korrigierte daraufhin noch einmal stark, bevor dann nach dem Halving die richtige Kursrakete gezündet wurde.

Märkte sind zu optimistisch?

Anfang des Jahres sah es nach den ersten Zinssenkungen im März aus – die Erwartung haben sich inzwischen auf Juni verschoben. Grund dafür ist, dass die Inflation in den USA immer noch bei über 3 Prozent liegt und die Wirtschaft überraschend robust ist. Eine Rezession, die viele Analysten schon seit einigen Monaten prognostizieren, würde deflationär wirken, weshalb spätestens dann die US-Zentralbank wieder die Zinsen senken und den Markt stimulieren würde. Obwohl Zinssenkungen in immer weitere Ferne rücken, steigen die Märkte derzeit von Höchststand auf Höchststand.

Heiß laufende Aktienmärkte sind jedoch kontraproduktiv, um die Inflation in den Griff zu bekommen – insbesondere in den USA. Denn in der größten Volkswirtschaft der Welt sind sehr viele Bürger am Kapitalmarkt investiert und wenn dieser gut läuft, fühlen sie sich reicher und konsumieren entsprechend mehr, was wiederum Konsumgüterpreise anfachen kann.

An dieser Stelle setzt auch die Analyse von Marko Kolanovíc von der Investmentbank JP Morgan an. Er ist der Meinung, dass die Rekordstände an den Kapitalmärkten der Federal Reserve derzeit keinen Spielraum für Zinssenkungen lassen.

Dies könnte dazu führen, dass die Geldpolitik „higher for longer“ bleibt, da eine verfrühte Zinssenkung das Risiko birgt, die Preise für Vermögenswerte weiter in die Höhe zu treiben oder einen weiteren Anstieg der Inflation auszulösen.
Marko Kolanovíc

Dies macht Kolanovíc vorwiegend am Preis von Bitcoin fest, weshalb große Medienhäuser wie der Business Insider titelten: „Bitcoins rekordverdächtiger Run könnte Zinssenkungen der Fed nach hinten verschieben, sagt JP Morgan“. Der Analyst des Wall-Street-Giganten sieht den hohen Bitcoin-Preis als „Schaum“ auf dem Markt; er macht die vermeintliche Überhitzung des Marktes aber auch anhand der starken Rally bei Technologieaktien fest.

Die Schlussfolgerung aus diesen Indikatoren ist, dass [diese Werte] noch weiter steigen können, bevor wir die jüngsten Extreme spekulativer Exzesse wieder erreichen. Wenn man jedoch bedenkt, wie sich die steigenden Vermögenspreise in das Gesamtbild der Zentralbanken einfügen, die eine Zinssenkung anstreben, werden sie angesichts des starken Wachstums und der Inflation wahrscheinlich noch vorsichtiger sein.
Marko Kolanovíc

Zu einem ähnlichen Entschluss kommt der Hedgefonds-Manager Jason Shapiro. In einem aktuellen Video behauptet er, dass bei dem aktuellen Umfeld eher die Frage sein müsste, wann die Federal Reserve die Zinsen anhebt und nicht wann sie diese senkt.

Wir hören viel davon, dass der Markt bricht und dann die Fed die Zinsen senken muss. […] Doch was ist denn der Markt die Fed „bricht“, und sie dazu durch immer weiter steigende Kurse dazu zwingt, die Zinsen anzuheben, weil diese aktuell zu niedrig sind – das ist genau das, was wir gerade sehen. Wenn wir in das Fed-Meeting im Juni zum Beispiel gehen und der S&P 500 bei 6.500 Punkten, Gold bei 3.000 und Bitcoin über 70.000 US-Dollar steht – ihr sagt mir, dass die Fed dann die Zinsen senken wird? Ich sage, das ist undenkbar – das wäre absolut verrückt.
Jason Shapiro

US-Dollar-Inflation durch Bitcoin?

Sollten immer mehr Marktteilnehmer dem Beispiel von MicroStrategy folgen und Kredite aufnehmen, um Bitcoin zu kaufen, dann könnte das auch in einer Art spekulativen Attacke enden. Die Kredite entwerten den US-Dollar, indem sie die Geldmenge aufblähen und gleichzeitig facht dieses neue Geld den Bitcoin-Preis an. Alleine um dies zu verhindern, könnte es im Interesse der US-Notenbank sein, den US-Dollar für diesen Konkurrenzkampf verhältnismäßig „hart“ zu halten.

Der berühmte Hedgefonds-Manager Bill Ackman bringt einen weiteren Punkt an, inwiefern Bitcoin den US-Dollar schwächen könnte und der ihn bullisch auf das erst 15 Jahre alte Asset stimmt.

Ein Szenario:

Der Anstieg des Bitcoin-Preises führt zu vermehrtem Mining und höherem Energieverbrauch, was die Energiekosten in die Höhe treibt, die Inflation ansteigen und den Dollar sinken lässt, was die Nachfrage nach Bitcoin und vermehrtem Mining antreibt, was wiederum die Nachfrage nach Energie antreibt, und der Zyklus geht weiter.

Bitcoin steigt ins Unendliche, die Energiepreise schießen in die Höhe, und die Wirtschaft bricht zusammen.

Vielleicht sollte ich ein paar Bitcoin kaufen.
Bill Ackmann

Hierbei verkennt der Star-Investor jedoch, dass das Bitcoin-Mining ein Treiber für niedrigere Energiekosten sein kann. Dennoch: Seine Schlussfolgerung zeigt, dass Satoshi Nakamotos Kreation zunehmend auch im Mainstream als ein Schutz gegen die Entwertung des US-Dollars angesehen wird.

Korrektur oder Crack-up-Boom in Aussicht?

Da auch die Kapitalmärkte eine große Rolle bei der Entscheidung von Zinsen spielen, ist es durchaus denkbar, dass weiter steigende Assetpreise die Federal Reserve dazu bringen, die Zinsen länger auf einem hohen Niveau zu halten oder gar noch anzuheben – insbesondere wenn die Inflation wieder an Fahrt aufnehmen sollte. Wie Kolanovíc herausstellt, könnte dies den Markt auf dem falschen Fuß erwischen.

Hohe Zinsen sorgen auf der anderen Seite jedoch dafür, dass die Staatsschulden der USA immer weiter ausufern. Schon jetzt gehen die jährlichen Zinszahlungen der Weltmacht auf die Marke von einer Billion US-Dollar zu. Die US-Notenbank ist entsprechend in einer Zwickmühle. Der immer steilere Aufstieg des US-Dollar-Konkurrenten Bitcoin, der aller Anschein nach von einer lockeren Geldpolitik nur noch weiter angefacht werden würde, macht die Situation mit Sicherheit nicht leichter. Senkt die Federal Reserve in diesem Umfeld die Zinsen, dann könnte eine verstärkte Flucht in Vermögenswerte die Konsequenz sein, welche die Kapitalmärkte auf immer neue Höchststände katapultieren könnte.

JP Morgan pessimistisch aus Eigeninteresse?

Ende Februar kamen die Analysten von JP Morgan auch noch zu dem Entschluss, dass Bitcoin nach dem Halving erst einmal wieder auf 42.000 US-Dollar fallen könnte. Zum einen, durch die geringere Profitabilität der Bitcoin-Miner und zum anderen, weil das Halving angeblich schon eingepreist ist und der Hype, der in Antizipation aufkam, dann abflachen könnte.

Das Halving würde die von uns berechneten Produktionskosten auf 42.000 US-Dollar absenken. Die 42.000 US-Dollar sind auch das Level, wo wir den Bitcoin-Preis sich hinbewegen sehen werden, wenn die durch das Halving ausgelöste Euphorie nach dem April abklingen wird.
Nikolaos Panigirtzoglou, JP Morgan in einem Report

Ob JP Morgan recht behalten wird oder sie nur den Preis drücken wollen, um selbst günstiger an Bitcoin zu kommen, bleibt abzuwarten.