Unter dem Namen der Europäischen Zentralbank (EZB) wurde ein wissenschaftliches Paper veröffentlicht, in dem erstaunlicherweise auch die positiven Aspekte von Bitcoin beleuchtet werden. Das Fazit lässt sich sehen: Bitcoin ist eine Alternative zu traditionellen Finanzmärkten, bietet Transaktionsvorteile und ein Wertaufbewahrungsmittel in Ländern mit instabilen Währungen.

Die EZB und Bitcoin

Normalerweise kommt Bitcoin nicht gut weg, wenn sich die europäischen Währungshüter zu Wort melden. Das letzte Mal, als die EZB über Bitcoin twitterte, verlinkte sie den Artikel von Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf mit dem Titel: "Bitcoin ist auf dem Weg in die Irrelevanz" - Blocktrainer.de berichtete.

Paradoxerweise markierte das Veröffentlichungsdatum so ziemlich genau den Tiefstpunkt des letzten Bitcoin-Bärenmarktes:

Die scheinbare Stabilisierung des Wertes von Bitcoin ist wahrscheinlich ein künstlich herbeigeführter letzter Atemzug, bevor das Krypto-Asset den Weg in die Bedeutungslosigkeit antritt.

Aus dem Tweet

Quelle: TradingView

Seither ist Bitcoin alles andere als in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Das erkennen auch die Autoren des vorliegenden wissenschaftlichen Papers an:

Trotz eines extrem volatilen Preises und verschiedener Crashs auf dem Markt für Kryptowährungen ist Bitcoin nach wie vor sehr beliebt und wird in verschiedenen Währungen und Regionen gehandelt.

aus dem Paper

Bitcoin hat seit der Veröffentlichung des makaberen Blog-Posts von Bindseil und Schaaf um mehr als 150 % zugelegt. Zudem haben einige der größten Vermögensverwalter der Welt Anträge für einen Bitcoin-Spot-ETF eingereicht - Genehmigungen stehen noch aus.

Für EZB-Verhältnisse positiv

Das EZB-Paper mit dem Titel "Globale und lokale Treiber des Bitcoin-Handels im Vergleich zu Fiatwährungen" versucht anhand des Tradingvolumens auf den Peer-to-Peer-Exchanges (P2P) LocalBitcoins und Paxful zu ermitteln, was die Bitcoin-Adoption antreibt. Die Autorengruppe besteht aus drei studierten Ökonomen - zwei von ihnen arbeiten für die EZB als leitende Ökonomen, der andere ist ein ehemaliger Praktikant.

Dass die Autoren sich etwas tiefergehender mit Bitcoin auseinandergesetzt haben als Bindseil und Schaaf, springt dem Leser direkt zu Beginn ins Auge. Da führen sie richtigerweise einen der Gründe an, wieso Satoshi Nakamoto Bitcoin kreiert hat.

Bitcoin wurde mit dem Ziel geschaffen, ein alternatives Zahlungssystem zu schaffen, das dezentral und ohne die Kontrolle einer dritten Partei oder einer Autorität funktioniert.

aus dem Paper

Kurz darauf wird jedoch wieder deutlich, dass die Herangehensweise der vorherrschenden Mainstream-Ökonomie den Erfolg des fast 15 Jahre alten Assets nicht vollumfänglich erklären kann.

In Anbetracht des offensichtlichen Nichtvorhandenseins eines fundamentalen Wertes ist das exponentielle Wachstum des Transaktionsvolumens von Bitcoin und seines Preises sicher überraschend. Dies wiederum hat unter Ökonomen eine lebhafte und schnell wachsende Debatte über die Beweggründe für die Nutzung von Bitcoin ausgelöst.

aus dem Paper

Wert ist nun mal immer subjektiv. Die Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie liefern an dieser Stelle die wohl besseren Erklärungen für die hohe Nachfrage nach einem nachweisbar knappen und nicht kontrollierbarem Geld.

Hohe Bitcoin-Adoption in weniger entwickelten Ländern

Die Autoren stellen heraus, dass es bemerkenswerterweise die Schwellen- und Entwicklungsländer sind, welche die Bitcoin-Adoption anführen: Mit dem kenianischen Schilling (KES) oder dem nigerianischen Naira (NGN) wurde etwa auf den P2P-Exchanges in den letzten Jahren verhältnismäßig viel gehandelt. Das Volumen - in US-Dollar umgerechnet - je 1.000 Einwohner war in diesen afrikanischen Währungen um ein Vielfaches höher als etwa das in Euro. Der US-Dollar selbst wurde bei dieser Betrachtung wegen seiner besonderen Stellung außen vor gelassen.

Wöchentliches Tradingvolumen auf P2P-Exchanges in verschiedenen Währungen in USD umgerechnet - Quelle: EZB-Paper

In weniger entwickelten Ländern handeln die Menschen im Gegensatz zu den Industrienationen vornehmlich auf den P2P-Exchanges, die lediglich als Plattform, Käufer und Verkäufer zusammenführen. In Ländern wie den USA oder Deutschland ist es üblicher, Bitcoin auf einer zentralisierten Exchange (CEX) zu kaufen. Die meistgenutzten Währungen bei Peer-to-Peer-Transaktionen sind - absolut betrachtet - neben dem US-Dollar der nigerianische Naira, russische Rubel, chinesische Yuan und die indische Rupie.

Verhältnis von Volumen auf P2P-Exchanges zu dem auf zentralisierten Börsen & Anteil der jeweiligen Währungen in P2P-Transaktionen - Quelle: EZB-Paper

Inflationsschutz und Alternative zu traditionellen Finanzmärkten

Gegenüber dem nigerianischen Naira handelt Bitcoin derzeit im Übrigen auf einem Allzeithoch. Die Autoren verweisen auf die Tatsache, dass im Jahr 2022 unter den 20 Ländern mit der größten Adoption von Bitcoin und Co. lediglich zwei Industrienationen waren. Dies spricht dafür, dass insbesondere bei einem hohen Wertverlust der Fiatwährungen, Menschen vermehrt dazu bereit sind, auf Alternativen auszuweichen. Das schlussfolgern auch die Ökonomen mit EZB-Hintergrund:

Der Handel mit Bitcoin gegen Fiatwährungen in diesen Ländern unterscheidet sich etwas von dem Handel gegen Währungen in den Industrieländern. [...] Ein wichtiger lokaler Treiber, die Abwertung der heimischen Währung gegenüber dem US-Dollar, fördert den Bitcoin-Handel gegenüber diesen Währungen, vor allem seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Diese Erkenntnis legt nahe, dass Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel oder Tauschmittel in Ländern verwendet werden könnte, die einen Kaufkraftverlust ihrer Landeswährung erfahren.

aus dem Paper

Dieser Beobachtung fügen sie hinzu, dass "makroökonomische Instabilität möglicherweise zu einer stärkeren Nutzung von Kryptowährungen führen kann". Letztlich ist die Einsicht der drei Ökonomen, dass Bitcoin ein "besseres Wertaufbewahrungsmittel im Vergleich zur Landeswährung von Ländern mit hoher Inflation und einem tendenziell schwächeren Wechselkurs darstellen" kann - eine untypische Aussage für EZBler.

Tatsächlich schützt Bitcoin aber auch faktisch vor der Inflation des Euros oder US-Dollars. Seit 2011 weist Bitcoin in Euro gemessen eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von über 100 % auf. Das heißt so viel wie, dass sich Bitcoin seither jedes Jahr im Mittel im Preis verdoppelt hat.

Die Autoren erkennen auch an, dass Bitcoin Vorteile als Zahlungsmittel hat:

Bitcoin scheint auch transaktionsbezogene Vorteile zu bieten, insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern. [...] Menschen aus Schwellen- und Entwicklungsländern können Kryptowährungen als Zahlungsmittel bei grenzüberschreitenden Transaktionen verwenden, um Kapitalkontrollen zu umgehen oder die Kosten für den Erhalt von Überweisungen aus dem Ausland zu senken.

aus dem Paper

Hinzu kommt die Erkenntnis, dass Bitcoin überdies als Alternative zur Anlage auf den traditionellen Finanzmärkten dienen kann, zu der viele der Menschen in den weniger entwickelten Ländern keinen Zugang haben. Obwohl die Ökonomen immer wieder betonen, dass Bitcoin eine Spekulation sei, listen sie damit einen weiteren relevanten Vorteil von Bitcoin auf.

Krypto-Assets können eine spekulative Alternative zu traditionellen Finanzprodukten darstellen, wenn diese nicht verfügbar sind, insbesondere in den aufstrebenden Volkswirtschaften, in denen der Anteil der jüngeren risikofreudigen Bevölkerung höher ist.

aus dem Paper

Rund zwei Milliarden Menschen haben kein Bankkonto. Das schließt sie von Anlagen, wie Aktien und Anleihen aus, mit denen sie sich zumindest ein wenig vor der Entwertung des Fiatgeldes schützen könnten. Bitcoin hingegen ist für jedermann jederzeit zugänglich und das, wie die Autoren richtig erkannt haben, ohne Mittelsmännern vertrauen zu müssen.

Die Autoren konkludieren, "dass der fundamentale Wert von Bitcoin sich zwischen den Industrienationen und den Entwicklungs- und Schwellenländern erheblich unterscheiden kann", was dann doch der Behauptung widerspricht, dass Bitcoin diesen Wert offenbar überhaupt nicht hat.

Fazit

Obwohl wie bei jedem Working Paper der EZB der Disclaimer aufgeführt ist, dass die Aussagen nicht unbedingt die Ansicht der Zentralbank widerspiegeln müssen, ist das eine für EZB-Verhältnisse positive Arbeit zu Bitcoin. Es geht weit über das Niveau eines Jürgen Schaafs, der behauptete, dass der Wert von Bitcoin finanzmathematisch bei maximal null liegt und seiner Meinung nach gesellschaftlich sogar negativ ist, hinaus. Der Tenor der europäischen Währungshüter war ansonsten auch immer sinngemäß "außer Kriminelle braucht niemand Bitcoin". An dieser Stelle ist es lobenswert, dass leitende Ökonomen der EZB von dieser privilegierten Sichtweise ein wenig Abstand nehmen.

Je mehr sich Bitcoin verbreitet, die Menschen sich damit auseinandersetzen und den Nutzen erkennen, desto schwieriger wird es für die Bitcoin-Feinde ihre kurz gedachten Verunglimpfungen in die Welt zu posaunen. Ob die Zentralisten um die wegen des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern verurteilte Chefin Christine Lagarde ihre grundlegende Meinung zu Bitcoin ändern werden, bleibt abzuwarten. Naheliegender bleibt immer noch, dass sie die Letzten sein werden.