Die Lage des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande spitzt sich immer weiter zu. Seit letztem Jahr fiel die Aktie des Unternehmens um 85% und steht kurz vor dem Kollaps. Nur die wenigsten Finanzanalysten glauben, dass Evergrande sich noch von selbst retten kann. Evergrande sitzt auf einem Schuldenberg von umgerechnet 300 Milliarden US-Dollar. 90% der Verbindlichkeiten befinden sich in den Händen von Banken. Es drohen ähnliche Zustände wie bei Lehman Brothers 2008. Viele fragen sich, ob die Krise Evergrandes ein Systemrisiko darstellt und welche Auswirkung das auf den Bitcoin haben kann. Sehen wir uns das genauer an.

Derzeitige Situation

Heute, am 20. September, wären die ersten Zahlungen von Evergrande in Millionenhöhe fällig. Evergrande hat bereits angekündigt, dass sie ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen werden. Die Ratingagenturen stuften bereits die Anleihen des Konzerns auf CC runter. Damit sind die Anleihen von Evergrande auf Ramschniveau.

Der Hongkonger Börsenindex fiel heute Vormittag um mehr als 3% auf das Oktoberniveau letzten Jahres. Asiatische Anleger haben erkannt, dass die Evergrande Krise sich auf die Gesamtwirtschaft auswirken könnte. Obwohl die chinesische Zentralbank umgerechnet 14 Milliarden US-Dollar an Liquidität dem System zur Verfügung gestellt hat, scheint dies nicht zur Stabilisierung der Märkte beizutragen.

Gründe für den Kollaps

Der chinesische Immobilienmarkt boomt seit Jahrzehnten. Die Preise für Wohnungen stiegen und im Gleichschritt die Mieten. Damit hatte die kommunistische Regierung ein Problem. Ihrer Ansicht nach wurde der Markt immer mehr zu einem Spekulationsmarkt. Mit drei Regulierungen versuchte die Regierung aus dem überhitzten Immobilienmarkt Luft herauszulassen.

Die erste Regulierung besagte, dass das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten nicht mehr als 70% betragen darf. Außerdem darf der Nettoverschuldungsgrad der Immobilienunternehmer nicht mehr als 100% sein und zuletzt muss das Unternehmen mehr liquide Mittel als kurzfristige Verbindlichkeiten zur Verfügung haben. Alle drei Regularien hatten das Ziel, die massive Überschuldung der Konzerne zu stoppen.

Evergrande konnte keine der drei Vorgaben einhalten. Mit einem Schuldenberg von 300 Milliarden US-Dollar war das nicht überraschend. Evergrande verfolgte seit Jahren eine Schulden-Strategie. Sie kauften Immobilien über dem normalen Marktpreis und gaben das Risiko an Wohnungskäufer und Banken weiter, die ihnen dafür Kredite gewährten.

Ähnlich wie 2008 funktioniert das Spiel für jeden, solange die Preise für Immobilien gleichzeitig stiegen. Es funktionierte sogar so gut, dass die Verschuldung der privaten Haushalte massiv zunahmen in den letzten 15 Jahren. Immer mehr Bürger nahmen Kredite auf, um am Spekulationsspiel teilzunehmen. Von 48% des Bruttoinlandsprodukts stiegen die Haushaltsschulden auf 61% im Januar 2021.

Verschuldung privater Haushalte zum BIP. Quelle: Twitter Arte Carlo Doss

Grund zur Sorge?

Evergrande hat begonnen Immobilien zu verkaufen. Das wird aber nicht reichen die Insolvenz zu verhindern. Die einzige Chance für Evergrande ist eine Rettung durch die Regierung. Bisher hält sich die chinesische Regierung bedeckt und macht nicht den Anschein an der Rettung des Unternehmens interessiert zu sein.

Wenn Evergrande pleite geht, werden 1.2 Millionen Chinesen auf ihren Krediten sitzen bleiben. Die Regierung könnte einen Kompromiss eingehen und die Investoren und Mitarbeiter von Evergrande entschädigen, aber das Unternehmen pleitegehen lassen. Evergrande bezahlte teilweise ihre Mitarbeiter in Vermögensprodukten. Gerüchten zufolge läuft der Verkauf dieser Produkte auf Hochtouren. Kritische Stimmen unterstellen den Unternehmen dabei Insiderhandel.

Gleichzeitig beginnt der Wert von Credit Default Swaps (CDC) auf chinesische Anleihen zu steigen. Dabei handelt es sich um Kreditderivate, die ähnlich wie eine Versicherung vor einem Totalausfall gegen das eingesetzte Kapital schützen sollen. Der Wert eines CDS auf eine chinesische Anleihe ist heute um knapp 45% auf 47 gestiegen. Über diesen Wert wird dann die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anleihe berechnet. Im März 2020 erreichte dieser Wert 73. Anleger nehmen zwar das vermehrte Risiko Chinas wahr, schätzen es aber noch nicht so gefährlich ein wie zu Corona.

Welche Auswirkungen Evergrande auf den Bankensektor haben wird, ist noch unklar. Der Vergleich zu Lehman Brothers liegt nahe, sollte aber mit Vorsicht benutzt werden. Erst wenn sich die Regierung dazu entscheidet Evergrand pleitegehen zu lassen und ebenfalls die Investoren auf ihren Krediten sitzen bleiben, könnte es sehr ungemütlich für die Banken werden. 2008 hat gezeigt, wie vernetzt das Bankensystem ist. Der Ausfall einer Bank kann zu einem Kollaps vieler weiterer Banken führen.

Chinas Wirtschaft strauchelt zurzeit. Die Verbraucher sind sehr stark verschuldet. Die Produktion wurde zwar auf des Vorkrisenniveau von Corona zurückgebracht, allerdings brachen die Einzelhandelsumsätze kürzlich um 11% ein. Eine schwächelnde Wirtschaft gibt der chinesischen Regierung einen engeren Spielraum zum Handeln.

Auswirkungen für Bitcoin

Wie für viele andere Märkte kann es kurzfristig kritisch für Bitcoin werden, wenn es zu einem Contagion-Effekt (oder Ansteckungseffekt) der Wirtschaft kommt. Der Corona-Crash von 2020 hat gezeigt, dass sich Bitcoin noch nicht von den traditionellen Finanzmärkten losgelöst hat.

Die ersten Contagion Effekte können in China bereits beobachtet werden. Rohstoff Hersteller in China geraten immer mehr unter Druck. Vor allem die Stahlindustrie. Die Stahlproduktion verzeichnete den größten gemessenen Produktionsrückgang im August. Gleichzeitig brach der Hongkonger Börsenindex heute um 3% ein. Ein Anzeichen für einen zunehmenden Contagion-Effekt.

Je stärker der Contagion-Effekt wird, desto mehr verschiedene Bereiche werden davon betroffen sein. Tritt dieser Fall ein, kann es durch die Unsicherheit zu einem starken Abverkauf auf den internationalen Finanzmärkten kommen. Dann wird sich zeigen, ob Bitcoin es geschafft hat, sich seit März 2020 von den traditionellen Finanzprodukten zu entkoppeln.

Bitcoin fixes this

Unter einem Bitcoin Standard wäre ein solches Szenario nicht mehr möglich. Die Ursache für die Evergrande Krise sind die ungedeckten Kredite. Nur somit konnte Evergrande die Wohnungen zu einem höheren Marktpreis aufkaufen und sich refinanzieren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Fiat Standard Konzerne wie Evergrande durch die extrem günstige Verschuldung begünstigt. Mit der Regulierung des Marktes versucht die Regierung natürlich nicht die Symptome des Fiat-Systems zu bekämpfen, sondern es geht ihnen viel mehr um eine Machtdemonstration gegen Evergande und andere Unternehmen.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen wie China die Evergrande Situation lösen will. Eine Rettungsaktion des Unternehmens würde gegen die Prinzipien der Partei verstoßen. Die wirtschaftlichen Folgen eines unkontrollierten Kollaps von Evergrande könnte zu Unruhen im Land führen. Die Regierung Chinas versuchte in der Vergangenheit die sozialen Unruhen im Land zu unterdrücken. Die derzeitige Situation ist für den chinesischen Staat ein Drahtseilakt. Solange China noch keine Entscheidung getroffen hat, kann aber noch nicht von einem Lehman Brother Moment gesprochen werden.