Nach mehr als drei Jahren Vorbereitungszeit wurde gestern das Projekt Worldcoin mit der verbundenen Kryptowährung WLD von den Gründern Sam Altman und Alexander Blania gestartet

In diesem Beitrag erfahrt ihr, worum es sich dabei handelt und welche Risiken damit verbunden sind.

Finanz- und Identitätsnetzwerk

Aus dem Whitepaper des Projekts geht hervor, dass es sich bei Worldcoin um ein neues Identitäts- und Finanznetzwerk handelt, das als eine Antwort auf eine von künstlicher Intelligenz dominierten Welt und neuen, KI-beeinflussten wirtschaftlichen Bedingungen gelten soll. Das Netzwerk soll laut der Vision der Gründer bei der Unterscheidung von Mensch und KI helfen, globale demokratische Prozesse ermöglichen und einen potenziellen Weg eines bedingungslosen Grundeinkommens (en. Universal Basic Income, UBI) aufzeigen.

Um sicherzustellen, dass sich an dem Netzwerk ausschließlich Menschen und keine Bots beteiligen, erhält jeder Nutzer eine persönliche digitale Identität, die sogenannte World ID. Anstatt personenbezogene Daten wie Name, E-Mail-Adresse oder Personalausweisnummer mit der World ID zu verknüpfen, müssen die Nutzer bei der Kontoerstellung einen Scan ihrer Iris mit einem speziellen Gerät namens Orb durchführen. Nach dem Scan signiert der Orb einen Hash der Iris, der dann in eine Datenbank hochgeladen wird. Der Nutzer kann dann mit seiner World ID einen Zero-Knowledge-Proof (ZK-Snark) generieren, wodurch bewiesen wird, dass er zu dem Scan der Iris gehört (und ein Mensch ist), ohne großartig die Privatsphäre zu beeinflussen. Die Hard- und Software ist Open Source.

Orb, Quelle: Worldcoin
Orb, Quelle: Worldcoin

Die erste World-ID wurde am 5. Mai 2021 vergeben. In den darauffolgenden Jahren wurden Tests in Südamerika, Afrika und Südostasien durchgeführt und zahlreiche Nutzer registriert, die sich gegen ein Entgelt in Form der Protokoll-eigenen Währung WLD scannen ließen. Inzwischen beträgt die Anzahl der Anmeldungen bereits mehr als zwei Millionen.

Stastik zur World ID, Quelle: Worldcoin

In Deutschland sind bisher nur zwei Orb-Standpunkte, in Berlin und München, zur Registrierung vorhanden.

Mit der World ID kann man über die World App auf die zugehörige Wallet des Worldcoin-Protokolls zugreifen und die digitale Währung WLD erhalten. Die Wallet ist über eine klassische Passphrase gesichert.

Jeder Mensch hat Anspruch auf einen Anteil an WLD, einfach weil er ein Mensch ist.

Auszug aus dem Whitepaper

Worldcoin WLD

Der Worldcoin WLD ist ein ERC-20-Token auf der Ethereum-Blockchain und dem Layer 2 Rollup-Netzwerk Optimism, in dem die meisten Transaktionen stattfinden.

Während der Voreinführungsphase des Projekts wurden 43 Millionen WLD bei der Verifizierung an die registrierten Nutzer verteilt, nachdem sie ihre biometrischen Daten abgegeben haben – 25 WLD pro Registrierung. 100 Millionen WLD wurden an „Market Maker“ verliehen, wobei die Leihgabe nach drei Monaten verfällt. Somit sind bei der Markteinführung circa 143 Millionen WLD im Umlauf, was 1,43% des anfänglichen Gesamtangebots von zehn Milliarden WLD entspricht.

25% der zehn Milliarden WLD sind für die anfänglichen Entwickler und Investoren eingeplant. Weitere 15% sollen für die weitere Entwicklung abgezwackt werden. Dazu gehören unter anderem die Herstellung der Hardware und die Verwaltung des Protokolls. Somit verbleiben 60% der Token bzw. sechs Milliarden WLD für die Nutzer, die über einen Zeitraum von 15 Jahren verteilt werden – z.B. 25 WLD pro Registrierung.

Bei der Verwaltung des Protokolls wird auch die Inflationsrate festgelegt, die standardmäßig bei 0% liegt. Die Inflation wird aber nach 15 Jahren einsetzen und bis zu 1,5% pro Jahr betragen. Das Gesamtangebot wird sich dementsprechend erhöhen, wodurch das Grundeinkommen von 1 WLD für jeden Nutzer pro Woche ausgeschüttet werden soll.

Der WLD-Token ist nicht in den USA oder anderen Gebieten erhältlich, die nicht über die entsprechenden Krypto-Gesetze verfügen. Die Tokens kann man nur über die World App kostenfrei erhalten – es gibt sonst keine weiteren Airdrops oder ein Initially Coin Offering (ICO).

Wer steckt hinter Worldcoin?

Hinter der Technologie vom Worldcoin-Protokoll steckt das Unternehmen Tools for Humanity (TFH), das ursprünglich ein Start-up aus Erlangen war und 2019 vom Physikstudenten Alexander Blania, Max Novendstern und Sam Altman gegründet wurde. Neben einem Ableger in Deutschland hat TFH seinen Hauptsitz in San Francisco

Am 31. Oktober 2022 wurde die Worldcoin Foundation gegründet, um das Netzwerk „als öffentliches Versorgungsunternehmen zu skalieren und dessen Verwaltung zu dezentralisieren.“ Die Stiftung ist eine Art von gemeinnütziger Organisation, die auf den Kaimaninseln als steuerbefreite Stiftungsgesellschaft eingetragen ist, die so strukturiert werden kann, dass sie „mitgliederlos“ ist (d.h. keine Eigentümer oder Aktionäre hat) und stattdessen Anweisungen von einer dezentralisierten autonomen Organisation (DAO) entgegennimmt. Gleichzeitig kann die Stiftung Aspekte schützen, die technologisch nicht dezentralisiert werden können. Außerdem besitzt die Stiftung eine Tochtergesellschaft auf den britischen Jungferninseln namens World Assets Limited.

TFH-Mitgründer Sam Altman machte sich später als CEO von OpenAI und Entwickler des KI-Textprogramms ChatGPT einen Namen. Dadurch konnte er auch öffentlichkeitswirksam Aufmerksamkeit auf Worldcoin lenken. Ferner ist Worldcoin bzw. TFH Mitglied des Branchenverbandes Bitkom und seit April 2023 im Lobbyregister des Bundestages gemeldet. Laut Aussagen der Market Managerin von TFH, Friederike Lumbroso-Baumgartner, sei Deutschland insbesondere aufgrund des Datenschutzes ein wichtiger Standpunkt für Worldcoin. Man habe die Bundesregierung und Behörden kontaktiert und schon mit ausgewählten Politkern der fünf großen Parteien gesprochen.

Kritik an Worldcoin

Bei der Auseinandersetzung mit dem Worldcoin-Projekt kann man einige Kritikpunkte finden.

Zunächst kann man sich die Frage stellen, ob das Projekt als Lösung für ein Problem herhalten soll, das Sam Altman mit OpenAI selbst befeuert hat. Schließlich werde die Künstliche Intelligenz „massive wirtschaftliche Auswirkungen haben“, bemerkte Altman in einem Interview. Dabei erwähnte Altman auch das bedingungslose Grundeinkommen, das von einer KI erwirtschaftet und an die Nutzer ausgeschüttet wird, die ihre Menschlichkeit beweisen können. Wann sich dieses Konzept durchsetzen und welche Instanz derartige Leistungen verteilen werde, kann Altman jedoch nicht vorhersagen. Mit Worldcoin sei dafür aber ein Grundstein gelegt. Dies mag trotz aller dystopischen Aspekte ein guter Ansatz sein.

Wie bei jedem wirklich ehrgeizigen Projekt klappt es vielleicht, vielleicht auch nicht, aber wenn man Dinge wie diese ausprobiert, entsteht Fortschritt.

In jedem Fall lieben wir besonders unsere Hater, sie geben uns Energie, bitte weiter so!

Sam Altman auf Twitter

Proof of Personhood

Weitere Kritikpunkte kann man bei der digitalen Identität und Identitätsprüfung durch den Irisscan mit den Orbs finden. Die Identitätsprüfung kann grundsätzlich nicht komplett trustless funktionieren und ist damit ein perfektes Beispiel für das Oracle Problem. Zwar können biometrische Systeme die Privatsphäre schützen, Betrug verhindern und von KI nicht gefälscht werden, doch das setzt den richtigen Einsatz voraus. Es gibt dabei nicht nur Bedenken hinsichtlich der Verfügbarkeit von Orbs (vollständige Inklusion ist schwer umsetzbar), sondern auch des Datenschutzes und der Sicherheit, auch bei der Speicherung von biometrischen Scans. Das Konzept des Identitätsnachweises kann allgemein durchaus einen Wert besitzen. Doch ist es sinnvoll, sich einer biometrischen Identifizierung zu unterwerfen, die nicht nur zu einem Verlust der Anonymität im Internet führen, sondern auch durch autoritäre Regierungen beeinflusst werden kann? Oder sollte man lieber ganz auf eine Identitätsprüfung verzichten oder auf alternative Identitätsnachweise setzen, wie z.B. das Verifikationssystem des sozialen Graphs, bei dem eine neue Identität durch bereits verifizierte Identitäten bestätigt wird, ohne von einer speziellen Hardware und biometrischen Daten abhängig zu sein? 

Ohne Alternativen oder kombinierte Lösungsansätze hängen diese ethischen Bedenken komplett von den Entscheidungen des Unternehmens ab. Dadurch kann auch die Dezentralität infrage gestellt werden. Momentan kann man nur mit einem Orb-Scan ein Konto bei Worldcoin erstellen. Außerdem werden die Orbs und die App einzig von TFH entwickelt und betrieben. Dabei können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Selbst wenn es Software-technisch keine Probleme gibt, bleiben Risiken bei der Hardware vorhanden.

Der Identitätsnachweis wird in Zukunft immer bedeutender werden. Eine ideale Form des Identitätsnachweises ist schwer zu finden und dezentrale Identitätslösungen müssen kontinuierlich verbessert und angepasst werden. Mechanismen für Pseudonymität könnten zu einer Akzeptanz führen, ohne dass das System von einzelnen Akteueren kontrolliert wird. Letztlich werden die Regierungen entscheiden, welchen Stellenwert Aspekte wie Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Terrorismusfinanzierung oder organisierte Kriminalität bei den zukünftigen Identitätsprüfungen einnehmen werden. 

Tokenomics und die Zukunft des Tokens

In dem Whitepaper des Worldcoin-Projekts wird eine Infrastruktur vorgestellt, die es jedem ermöglicht, „im Zeitalter der KI an der globalen Wirtschaft teilzunehmen, und die die Grundlage für ein universelles Grundeinkommen schafft“.

Die sechs Milliarden WLD-Token, die auf die Nutzer verteilt werden sollen, reichen jedoch nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung, wenn pro Registrierung 25 WLD ausgegeben werden. Das Grundeinkommen ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Einen richtigen Sinn ergeben diese Zahlen nicht.

Zum Wert des Tokens (und demnach auch des Nutzens des Grundeinkommens) hat sich Worldcoin noch nicht geäußert – schließlich ist der Token erst seit gestern handelbar. Ein Stablecoin soll der Worldcoin jedoch nicht werden. Doch wie soll ein Token, der aus dem Nichts geschaffen wurde und kostenlos (bzw. gegen biometrische Daten) verteilt wird, einen Wert haben oder ein Grundeinkommen darstellen? Die Geschichte derartiger Airdrops hat gezeigt, dass dadurch noch kein erfolgreiches Ökosystem entstanden ist.

Entsprechend unklar ist auch die zukünftige Finanzierung des Projektes. Laut Worldcoin soll es in Zukunft „sehr viele Anwendungsmöglichkeiten geben, die später dann eventuell zu Umsatz führen werden“. Außerdem würde sich das Netzwerk stets erweitern:

Bitcoin wird ausgegeben, um das Bitcoin-Netzwerk zu sichern. Worldcoin wird ausgegeben, um das Worldcoin-Netzwerk zu erweitern, wobei die Sicherheit von Ethereum übernommen wurde.

Auszug aus dem Whitepaper

Die Sicherheit des Ethereum-Netzwerks kann man aufgrund des Umstiegs auf Proof of Stake durchaus infrage stellen. Ferner wurden die WLD-Token aus dem Nichts erschaffen – nicht so wie beim Proof of Work des Bitcoin-Netzwerks. Außerdem hat die World ID bisher keinen praktischen Nutzen und die Art der wirtschaftlichen Teilhabe ist unklar. Es bleibt nichts anderes als ein simples Versprechen.

Dies ähnelt den typischen Vorgehensweisen dubioser Kryptoprojekte, die sich als dezentral tarnen und mit ihrer Masche den Vermögensverlust vieler Menschen verursachen. Es wird mit spannender, neuer Technik ein Hype erzeugt, um Nutzer und Anleger zu gewinnen, die in dem Projekt die Zukunft sehen. Davon profitieren werden jedoch nur die frühen Investoren und Entwickler, die einen Großteil der Token für sich beansprucht haben.

Doch Umsatz kann Worldcoin derzeitig noch nicht verzeichnen. Das Projekt finanziert sich zurzeit aus Geldern von Venture-Capital-Unternehmen wie Andreesen Horowitz oder Blockchain Capital. Es bleibt fraglich, ob das Projekt jemals Erfolg haben wird.

Die bessere Alternative wäre das dezentrale, sichere und pseudonyme Netzwerk von Bitcoin. Es ist zensurresistent, open-source und wirklich für jedermann zugänglich. Es kann weder von einem Unternehmen oder einer Stiftung noch von einer Regierung beeinflusst und kontrolliert werden. Es bietet allen die Möglichkeit, in einem seltenen digitalen Vermögenswert zu sparen, der auf Energie und Zeit aus der realen Welt beruht.