Auslöser dieser Diskussion sind zwei konkurrierende Vorschläge zur Standardisierung, die über sogenannte Bitcoin Improvement Proposals (BIPs) eingebracht wurden: BIP-177 und BIP-172.
Status quo: Was bedeutet „ein Bitcoin“ heute?
Nach aktuellem Standard im Bitcoin-Protokoll und in der gesamten Infrastruktur ist die Sache eigentlich klar: Ein Bitcoin (BTC) entspricht exakt 100.000.000 Satoshi – benannt nach dem pseudonymen Erfinder von Bitcoin, Satoshi Nakamoto.
Die kleinste unteilbare Einheit eines Bitcoin ist also der sogenannte „sat“. Die jemals auszuschüttende maximale Gesamtmenge laut Protokoll beträgt 2.099.999.997.690.000 sat (Zwei Billiarden neunundneunzig Billionen neunhundertneunundneunzig Milliarden neunhundertsiebenundneunzig Millionen sechshundertneunzigtausend Satoshi) oder wie in der Bitcoin-Community oft erwähnt: knapp 21 Millionen BTC.
In der Praxis kommt es jedoch häufig zu Verwirrungen. In vielen Softwareumgebungen, APIs und Wallets wird intern mit der kleinsten Einheit gerechnet. Diese wird dort häufig – rein technisch – als „bitcoin“ bezeichnet, obwohl damit ein „sat“ gemeint ist. Das führt zu Doppeldeutigkeiten, besonders wenn Entwickler, Nutzer oder Dritte mit Beträgen arbeiten, ohne die Einheit klar zu benennen.
Steht in einem Code-Snippet beispielsweise amount = 1 bitcoin
geschrieben, ist das dann ein BTC oder ein sat? Genau an dieser Stelle setzt die aktuelle Debatte an.
Was genau schlägt BIP-177 vor?
Der Vorschlag für das BIP-177 wurde Mitte April vom bekannten Entwickler John Carvalho eingebracht, nachdem er diesen bereits im Dezember 2024 weitestgehend ausformuliert hatte.
Er will mit der sprachlichen Doppeldeutigkeit im Bitcoin-Ökosystem aufräumen und schlägt vor, die Bezeichnung „Bitcoin“ künftig für die kleinste Einheit zu verwenden, also für einen Satoshi.
Daraus folgt: Was wir heute als 1 BTC kennen, müsste künftig als 100.000.000 bitcoin bezeichnet werden.
Diese Umstellung hätte natürlich tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Darstellung und Kommunikation rund um Bitcoin. Zahlbeträge, Benutzeroberflächen, Dokumentationen, Medieninhalte – all das müsste überdacht und angepasst werden. Der Vorteil, den Carvalho in seinem Vorschlag sieht, liegt vor allem in der Nutzerfreundlichkeit. Statt verwirrender Beträge wie 0.00000001 BTC
würde 1 bitcoin
künftig einfach 1 sat darstellen.
Das könnte – so die Hoffnung – die Lesbarkeit verbessern und neuen Nutzern den Einstieg erleichtern.
Die aktuelle Konvention legt fest, dass ein Bitcoin aus 100.000.000 der kleinsten unteilbaren Einheiten besteht. Diese Darstellung erfordert den Umgang mit acht Nachkommastellen, was verwirrend sein kann und den falschen Eindruck vermittelt, Bitcoin sei grundsätzlich dezimal aufgebaut. In Wirklichkeit speichert das Bitcoin-System Werte aber als ganze Zahlen der kleinsten Einheit – der Dezimalpunkt ist nur eine vom Menschen eingeführte Vereinfachung.
Indem die kleinste Einheit nun als „ein Bitcoin“ neu definiert wird, passt dieses BIP die Wahrnehmung der Nutzer besser an die tatsächliche Funktionsweise des Protokolls an. Es reduziert die gedankliche Belastung, hilft Nutzern, Bitcoin als zählbare Einheiten zu verstehen, und verbessert dadurch die Verständlichkeit und das Nutzererlebnis.
John Carvalho, Autor des BIP-177
Unit Bias: Warum die kleinste Einheit manchmal mehr zählt
Ein zentrales Argument der Befürworter von BIP-177 ist die sogenannte „Unit Bias“ – ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen tendenziell eher ganze Einheiten kaufen wollen als Bruchteile davon.
Viele Neueinsteiger schrecken vor Bitcoin-Käufen zurück, wenn sie sehen, dass sie sich beispielsweise „nur“ 0,0021 BTC leisten können. Obwohl dieser Betrag einem signifikanten Wert entspricht, fühlt er sich im Vergleich zu „1 Bitcoin“ unvollständig oder gering an. BIP-177 könnte diesem Effekt entgegenwirken, indem die Darstellung auf ganze Einheiten umgestellt wird: Statt Bruchteilen eines BTC würde man etwa sagen „210.000 Bitcoin“ – wobei damit 210.000 heutige Satoshis gemeint sind.
Befürworter hoffen, dass dies die Wahrnehmung verbessert und damit auch die Akzeptanz insbesondere bei Privatanlegern erhöht. Kritiker wiederum warnen, dass dies lediglich eine Art kosmetischer Trick sei, der langfristig mehr Verwirrung als Nutzen stiften könnte.
Kritiker äußern Bedenken
Auch wenn seine Motivation nachvollziehbar ist, stößt Carvalhos BIP-177 nicht bei allen Menschen in der Bitcoin-Community direkt auf Zustimmung.
Insbesondere in der zugehörigen Diskussion bei GitHub wiesen mehrere Stimmen darauf hin, dass eine solche Umstellung weitreichende Folgen für bestehende Software, Dokumentationen und Lehrmaterialien hätte. Außerdem würde die Umsetzung die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit erschweren, da viele Menschen bereits eine klare Vorstellung davon haben, was „ein Bitcoin“ bedeutet.
Der pseudonyme GitHub-User „captCovalent“ warnte darüber hinaus vor einer möglichen Schwächung des Grundprinzips der Knappheit von Bitcoin:
Die vorgeschlagene Umbenennung gefährdet Bitcoins grundlegende Wertversprechen von Knappheit und seine etablierte Wahrnehmung im globalen Finanzsystem. Beträge in Milliarden oder Billiarden von „Bitcoins“ darzustellen, könnte die psychologische Wirkung des fixen Angebots von 21 Millionen untergraben – einem Eckpfeiler seines Werts. Zudem würde die Beibehaltung des Währungscodes „BTC“ bei gleichzeitiger Neudefinition Inkonsistenzen in Finanzmärkten und regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen – und unnötige Komplexität sowie Verwirrung für gegenwärtige und zukünftige Nutzer verursachen.
captCovalent
Die Alternative: BIP-172
Im Gegensatz zum BIP-177 verfolgt das BIP-172 einen deutlich konservativeren Ansatz.
Statt Begriffe umzudefinieren oder die Darstellung umzukehren, zielt dieser Vorschlag darauf ab, die bestehende Praxis im Bitcoin-Ökosystem klar und einheitlich zu dokumentieren. Die kleinste unteilbare Einheit bleibt der Satoshi, während 1 bitcoin (BTC) weiterhin als 100.000.000 sats definiert ist.
Ziel von BIP-172 ist es, die Terminologie in Protokollen, Schnittstellen und Dokumentationen zu vereinheitlichen, ohne dabei bestehende Begriffe oder Wahrnehmungen zu verändern. Der Vorschlag will Missverständnisse vermeiden, wie sie etwa bei der oben bereits erwähnten Interpretation von amount = 1 bitcoin
auftreten können – jedoch ohne die Begriffe selbst infrage zu stellen. Eine pragmatische Lösung, die Klarheit schafft, ohne unnötige Reibung mit etablierten Standards zu erzeugen.
Sprachliche Revolution oder mehr Klarheit?
Die Debatte um BIP-177 zeigt einmal mehr, dass Bitcoin nicht nur aus Code und ökonomischer Theorie besteht, sondern auch ein kulturelles und kommunikatives Projekt ist.
Begriffe wie „Bitcoin“, „BTC“ und „Satoshi“ sind tief in der Sprache, im Verständnis und im Ökosystem verankert. Eine einfache Umbenennung – so technisch logisch sie auch erscheinen mag – ist nicht so einfach umsetzbar und kann zudem weitreichende Verwirrung auslösen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Ein Bitcoin bleibt (vorerst wahrscheinlich) 100.000.000 sats. Und die Gesamtmenge bleibt wohl knapp 21 Millionen – und nicht 2,1 Billiarden – BTC.
Der bekannte Bitcoin-Befürworter Samson Mow bringt es folgendermaßen auf den Punkt:
Bitcoin ist auf organische Weise entstanden – ebenso der Begriff „Satoshi“ (sat) für die kleinste Einheit. Es war kein BIP nötig, um die Definition eines sats festzulegen, und ein BIP wird sie auch nicht ändern.
Samson Mow